Karaoke
Blumenverkäuferin meinte neulich zu mir: »Ich kenne Sie doch! Haben Sie nicht in Sieben Tage — Sieben Nächte mitgespielt? Oder war das in der Container-Serie?«
»Du warst doch bei Jauch? An welcher Frage bist du noch mal gescheitert?«, redete mich einmal ein Taxifahrer an. Ich nicke in solchen Fällen und schweige höflich. Ja, ich war in der Glotze und muss nun die Konsequenzen dafür tragen.
Als junger Schriftsteller hatte ich immer wieder Anrufe von Fernsehredakteuren bekommen, sie würden gerne mein Buch in ihrer Sendung vorstellen und ob ich nicht Lust hätte, zu ihnen ins Studio zu kommen.
Es begann mit dem MDR und seiner Nachmittagsshow für Halbtagsbeschäftigte, Hier ab vier, und ging dann weiter mit Dabei ab zwei für diejenigen, die gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen brauchen.
Die Sendung Hier ab vier war eine bunte Mischung aus Nachrichten, Wetterprognosen und kurzen Beiträgen über die Abwicklung der Landwirtschaft in Sachsen. Danach kam ein Fernsehdoktor mit Geheimtipps zur Bekämpfung von Hämorrhoiden, anschließend hielt der Moderator mein Buch in die Kamera und fragte mich kurz, worum es darin ging. Danach spielten wir beide Fernsehlotto. Als Ehrengast durfte ich eine möglichst blöde Frage an die Zuschauer richten, und der erste Anrufer, der die Antwort wusste, bekam ein Florena-Set von der MDR-Redaktion zugeschickt. Ich wollte eigentlich die Zuschauer fragen, wie die Sendung hieß, die sie gerade sahen, und lachte innerlich schon höllisch, entschied mich dann jedoch für eine weniger gemeine Frage. Als Andenken an die Show bekam ich ein MDR-Kuscheltier, ein Zwitter aus einer Biene und einem Bären. Und nach der Sendung viel Post von den Zuschauern. Sie schrieben mir, dass sie mich gesehen hätten, dass sie gerne mein Buch über Hämorrhoiden lesen würden, aber kein Geld hätten, um es zu kaufen. Doch wenn ich ihnen eins schicken würde und das Florena-Set noch dazu, dann würden sie sich sehr darüber freuen. Sie schätzten die Sendungen Dabei ab zwei und Hier ab vier sehr und die anderen Talkshows auch, und ich solle den Biolek schön grüßen. Das hätte ich auch gerne gemacht, nur wie?
Den richtigen Biolek habe ich nie kennen gelernt. Einmal wollte er mich zu seiner Show einladen, schickte sogar zwei Redakteure vorab, die mich drei Stunden lang wie bei einem Verhör interviewten, alles auf Kassette aufnahmen und damit zurück nach Köln düsten. Seitdem habe ich nie mehr was von Biolek gehört. Dafür war ich in etlichen anderen deutschen Fernsehshows und muss gestehen, hinter der Glotze zu sein macht mehr Spaß, als davor zu sitzen. Deswegen nehme ich gerne Einladungen zu den Sendungen an, die ich niemals gesehen habe. Neulich war ich bei Stefan Raab. Er kam vor der Sendung zu mir und fragte: »Kaanst du mich verstehen, weenn ich soo laangsam spreche?«
Ein Jahr lang habe ich selbst kleine Fernsehkolumnen fürs ZDFMorgenmagazin gemacht. In jeder Sendung sollten wir drei Orte in Berlin zeigen, die etwas Besonderes sind. Meine Redakteurin Ulrike und ich
zerbrachen uns jedes Mal den Kopf. Wir brauchten etwas, das Berlin repräsentiert, gleichzeitig aber die Leute am frühen Morgen nicht erschreckt. Ich wollte erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen in der Stadt zeigen, Ulrike suchte nach bildhaftem und skurrilem Material. Einmal fand ich die Firma Kryolan aus Reinickendorf, ein TV-taugliches Unternehmen, der größte Produzent von künstlichem Blut und der Weltmarktführer bei der Produktion künstlicher Glatzen. Und Ulrike hatte im Tagesspiegel etwas über eine Kneipe namens Seelenküche gelesen, die zwei hart gesottene Fans der Doors in Treptow aufgemacht hatten, um ihren Helden, Jim Morrison, zu ehren. In der Zeitung stand, dass einer der Besitzer sogar das Pariser Grabmal von Morrison bei sich in Treptow eins zu eins nachbauen und im Garten vor der Kneipe aufstellen wolle. Wir beschlossen, beide Orte am gleichen Tag zu besuchen. Ulrike telefonierte mit allen, um die Stimmung im Vorfeld zu klären. Der Chef von Kryolan sagte, dass er nur an einer seriösen Berichterstattung interessiert sei. Die Doors-Liebhaber meinten, Morrison sei sein ganzes Leben lang unverkäuflich gewesen, deswegen käme nur eine seriöse Berichterstattung in Frage. Nichts anderes hatten wir vor.
An einem Dienstagvormittag fuhren wir mit dem Kamerateam zu Kryolan. Der freundliche und sympathische Chef folgte uns auf Schritt und Tritt und erzählte die ganze Zeit nicht enden wollende Geschichten über
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