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Karma-Attacke (German Edition)

Karma-Attacke (German Edition)

Titel: Karma-Attacke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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feierten die Ratten in der Kanalisation unter dem Hirschenplatz ein Fest. Schon am Wochenende würden hier nur noch abgenagte Knochen liegen.

80
    Tom trug seine Camel-Tasche locker am Handgelenk. Den Dolch im linken Stiefelschaft fühlte er bei jedem Schritt. Er streckte sich; die lange Zugfahrt hatte ihn steif gemacht. Er roch seinen eigenen Schweiß und fand den Geruch merkwürdig fremd. Vor allem brauchte er jetzt einen Kaffee und ein Croissant. Er kam sich durchtrieben vor, irgendwie überlegen, so als seien die anderen alle dumme Schafe und er der reißende Wolf.
    So fühlte er sich, wenn er mit seiner Bande kurz vor einem Autodiebstahl stand. Niemand, der sein Geld legal verdiente, konnte nachempfinden, wie das war. Tom hatte die Tat selbst immer mehr geliebt als das Ergebnis. Diesen Moment, wenn er den Wagen kurzschloss und der Motor wirklich ansprang. Dieses Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Etwas, das andere sich nicht trauten. Etwas, wofür man bestraft wurde - wenn sie einen erwischten. Der Welt ins Gesicht zu lachen und zu sagen, ich halte mich nicht an eure Gesetze - das war es. Dieses Gefühl machte ihn stark. Auch jetzt.
    Die drei Glassplitter am Perlmuttgriff des Dolches rieben bei jedem Schritt an der Innenseite der linken Wade, trieben feine Risse ins Fleisch. Ein dünnes Rinnsal Blut ließ den Griff an der Haut festkleben. Tom hätte das Messer problemlos in seiner Lederjacke unterbringen oder auch einfach in seinen Hosenbund stecken können, aber er genoss den Schmerz. Er sagte ihm, dass er bewaffnet war. Gefährlich.
    Vor dem Hauptbahnhof stehend ließ er seinen Blick über das Seeufer schweifen. Den Pilatus hatte er im Rücken, er sah den Berg nicht. Da vorn stand ein Motorrad. Es wäre ein Leichtes gewesen, es zu übernehmen, aber er entschloss sich, zu Fuß zu gehen.
    Es war ihm völlig klar, dass Vivien sich auf der anderen Seite des Sees aufhielt. Er überquerte die Seebrücke wie ein Ritter aus vergangenen Zeiten, auf dem Weg zum Zweikampf. Tauben umflatterten ihn bettelnd. Er scheuchte sie weg, befürchtete, sie könnten auf seine Lederjacke scheißen. Als er sich umdrehte, sah er den Berg. Es war, als blicke er seinem Schicksal geradewegs in die Augen. Wolken verhüllten die Spitze, aber die Schneegrenze konnte er noch sehen.
    Für einen Moment war er wie betäubt. Es gab eine Verbindung zwischen ihm und diesem schneebedeckten Steinhaufen da. Es gruselte Tom. Er rannte über die Brücke, als müsse er zwischen sich und den Berg so viel Abstand wie nur eben möglich bringen. Trotzdem drehte er sich immer wieder um, ganz so, als könne der Berg ihn verfolgen. Mit Steinen nach ihm werfen oder ihn sonst wie vernichten.
    Er wusste, dass Vivien jetzt ganz in seiner Nähe war, und doch fand er dieses Wissen lächerlich. Plötzlich fühlte er sich klein und durchgedreht. Therapiebedürftig. Nicht als Held, sondern als Patient. Wie kann ich glauben, ich wüsste, wo sie ist, dachte er. Für einen Moment lang habe ich wirklich gedacht, ich könnte sie riechen.
    Etwas in ihm, das immer mächtiger wurde, sagte ihm, dass er genau das auch konnte. Es war nicht wirklich der Geruch, aber er hatte kein anderes Wort dafür. Ich muss andere Sinne haben als noch vor kurzem, ging es ihm durch den Kopf.
    Sein Blick verengte sich. Alle anderen Eindrücke verblassten und wurden schließlich ganz ausgeschaltet. Wie durch einen Tunnel sah er den Eingang des Hotels Rebstock. Hätte ihn jetzt einer seiner alten Freunde gefragt, warum er dort hineinging, hätte er, ohne wirklich zu lügen, geantwortet: «Um einen Kaffee zu trinken und etwas zu essen.» Doch zugleich wusste er, dass er wegen Vivien hier war. Er hatte dieses Restaurant nicht zufällig ausgesucht. Um seinen Hunger zu stillen, hätte er genauso gut woandershin gehen können.
    Den einsetzenden Nieselregen hätte er für die scheinbar zufällige Wahl ins Feld führen können. Doch er selbst konnte über sein eigenes Argument nur müde lächeln, denn zu gern hätte er sich jetzt ein wenig nass regnen lassen oder besser noch ein Bad genommen. Er hatte nicht viel Wäsche in seiner Camel-Tasche, aber noch ein dickes Baumwollhemd und ein zweites T-Shirt zum Wechseln.
    In der Gaststube waren alle Tische besetzt. Das hätte ein Grund sein können, gleich wieder zu gehen, doch die in Zellophan eingepackten Brötchen auf der Theke lachten ihn zu sehr an. An einem der Tische wurde über den Mord am Nationalkai geredet. Einer von ihnen, den sie Werner nannten und der

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