Kein Entkommen
Mutter durch die Vorhänge spähte. »In einem derartigen Fall ermittelt die Polizei in alle Richtungen, und natürlich wird auch der Ehemann einer Verschwundenen befragt. Das ist reine Routine.«
»Sind Sie nun tatverdächtig oder nicht?«, hakte sie nach. »Geht die Polizei von Mord aus?«
»Es gibt nicht den geringsten Beweis, dass meiner Frau etwas zugestoßen ist«, erwiderte ich.
»Weil Sie die Leiche perfekt entsorgt haben?«
Ich schluckte meinen Ärger herunter. »Sie erwarten nicht ernstlich, dass ich auf diesen Unsinn antworte, oder?«
Eine weitere, ebenfalls sorgfältig zurechtgemachte TV -Reporterin meldete sich zu Wort. »Bis jetzt gibt es keinerlei Beweise, dass Ihre Frau den Park überhaupt mit Ihnen besucht hat. Wie erklären Sie sich das, Mr Harwood?«
»Es gibt sicher Hunderte anderer Menschen, die ebenso wenig auf den Überwachungskameras zu sehen sind«, antwortete ich. »Jan war mit Ethan und mir im Five Mountains, daran gibt’s nichts zu rütteln.«
»Haben Sie sich einem Lügendetektortest unterzogen?«, fragte ein weiterer, leicht zerknittert wirkender Journalist, der aus Albany kam, wenn ich mich nicht ganz täuschte.
»Nein«, gab ich zurück.
»Haben Sie sich geweigert, bei einem solchen Test mitzumachen?«
»Niemand hat mich dazu aufgefordert«, sagte ich.
Die Reporterin mit der modischen Frisur hakte sofort ein. »Aber würden Sie sich einem Test unterziehen?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass …«
»Und wenn wir einen Lügendetektortest für Sie arrangieren?«, warf die andere Fernsehreporterin ein.
»Ich wüsste nicht, warum ich …«
»Sie weigern sich also? Sie sind nicht bereit, sich an einen Polygraphen anschließen und über Ihre Frau befragen zu lassen?«
»Das ist doch lächerlich«, sagte ich. Mir dämmerte, dass ich die Kontrolle über die Situation verloren hatte. Was für ein Schwachsinn, zu glauben, dass ich alles im Griff behalten und ungeschoren davonkommen würde. Nur weil ich glaubte, als Reporter alle Tricks meines Berufsstands zu kennen. Aber ich war eben nicht schlauer als die anderen.
Samantha schien zu spüren, was in mir vorging. »David«, erklärte sie, »können Sie mir sagen, wie Sie sich fühlen? All das muss doch eine schreckliche Belastung für Sie und Ihren Sohn sein.«
Ich nickte. »Es ist unerträglich. Diese Ungewissheit treibt mich mit jeder Sekunde näher an meine Grenzen. Niemand, der so etwas nicht selbst erlebt hat, kann auch nur ahnen, was Ethan und ich momentan durchmachen.«
»Und wie ist es für Sie als Reporter, selbst im Mittelpunkt der Nachrichten zu stehen?«, fuhr sie fort. »Wie finden Sie es, von Pressehyänen umzingelt zu sein?«
Die Fernsehreporterinnen musterten Sam mit abschätzigen Blicken. Das Wörtchen »Pressehyänen« schien ihnen nicht besonders zu gefallen.
Um ein Haar hätte ich breit gegrinst. »Schon okay. Ich weiß ja, wie’s läuft. Hören Sie, ich muss jetzt wirklich gehen.«
Die Reporter wichen auseinander, als ich mir den Weg durch den Pulk bahnte. Ich ergriff Sam am Ellbogen und zog sie mit mir, was sofort allgemeines Raunen zur Folge hatte. Was war denn das? Wollte ich ihr etwa ein Exklusiv-Interview geben?
»Ich komme mir echt mies vor«, sagte Samantha, als wir die Stufen zur Haustür meiner Eltern erklommen. »Aber ich tue ja nichts anderes als meinen …«
»Vergiss es«, unterbrach ich sie. Im selben Moment stand auch schon meine Mutter in der Tür. Sie schien um mehrere Jahre gealtert zu sein, seit wir uns am Morgen gesehen hatten. Sie musterte Sam mit abweisendem Blick.
»Mom«, sagte ich. »Du erinnerst dich sicher an Sam.« Ich hatte Sam öfter mit nach Hause gebracht, als wir ein Paar gewesen waren.
Sam nickte ihr zu, doch Mom reagierte nicht darauf. Sam hatte mir seinerzeit den Laufpass gegeben, was sie ihr wohl nie verzeihen würde.
»Wo steckt Ethan?«, fragte ich.
»Dein Vater ist mit ihm weggefahren«, sagte Mom. »Er wollte Ethan mal ein paar richtige Züge zeigen. Ich habe ihm gesagt, ich rufe an, sobald sich die Lage hier wieder beruhigt hat.«
Guter Plan, dachte ich, heilfroh, dass Ethan aus der Schusslinie war.
Ich sah Samantha an. »Danke, dass du eingegriffen hast. Die hätten mich sonst komplett auseinandergenommen.«
»Keine Ursache.« Sie lächelte. »Mir geht’s um die Story und nicht darum, dich fertigzumachen.«
»Noch mal danke.«
»Ich weiß, dass du Jan niemals etwas antun würdest.« Sie musterte mich eindringlich. »Oder?«
»Hör schon
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