Kein Entkommen
Kühlschrank, leerte Zucker- und Mehldosen aus, durchforstete die Speisekammer von oben bis unten, nahm mir einen Stuhl und warf einen Blick auf die Küchenschränke.
Nichts, nichts, nichts.
Plötzlich kam mir eine Idee. Ich kramte alle gerahmten Familienfotos zusammen, die mir ins Auge fielen. Bilder von Ethan. Jan. Jan und mir. Uns dreien zusammen. Ein Bild meiner Eltern von ihrem dreißigsten Hochzeitstag.
Ich nahm die Bilder aus den Rahmen und überprüfte, ob etwas zwischen Foto und Pappe gesteckt worden war.
Wieder nichts.
Nachdem ich jedes potenzielle Versteck im Erdgeschoss überprüft hatte, machte ich mich auf in den Keller.
Hier warteten unzählige Kisten und Kartons auf mich, vollgestopft mit alten Büchern, Familienkram – natürlich nur von mir –, ausrangierten Gerätschaften, Schlafsäcken für Campingausflüge und jeder Menge Unterlagen aus meiner Zeit an der Uni.
Ich suchte wie ein Besessener, riss alles aus den Kartons, beseelt von dem verzweifelten Gedanken, irgendetwas zu finden, was mir über den Verbleib meiner Frau Aufschluss geben konnte.
Ich fand nicht den kleinsten Anhaltspunkt.
Sie hatte nicht die geringste Spur von sich hinterlassen.
Außer dem Briefumschlag mit der Geburtsurkunde, den ich hinter der Bodenleiste im Wäscheschrank entdeckt hatte – und der nun auch verschwunden war. Und falls es sonst noch etwas gegeben hatte, was mit ihrer Vergangenheit in Verbindung stand, war Jan wohl schlau genug gewesen, diese Dinge ebenfalls verschwinden zu lassen.
Plötzlich fiel mir der Schlüssel wieder ein, der in dem Umschlag mit der Geburtsurkunde gewesen war. Ein merkwürdig aussehender Schlüssel, auf jeden Fall keiner, der zu einer Haustür gehörte.
Und im selben Augenblick fiel mir wie Schuppen von den Augen, um was für eine Art Schlüssel es sich gehandelt hatte.
Es musste ein Schließfachschlüssel gewesen sein, jede Wette.
Ja, das musste es sein. Bevor Jan mit mir zusammengezogen war, hatte sie etwas in einem Schließfach deponiert. Und was auch immer es gewesen sein mochte …
Vielleicht hatte sie Ethan und mich deshalb verlassen. Wegen dem, was in jenem Schließfach auf sie wartete.
Erschöpft schlurfte ich nach oben und ließ den Blick über die Verwüstung schweifen, die ich angerichtet hatte. Das Haus sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Ich hockte mich auf die Treppe, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
Falls Jan tatsächlich tot war, lag mein gesamtes Leben in Trümmern.
Und falls sie noch lebte, sah es nicht viel besser aus.
Wenn Natalie Bondurant mit ihrer Sicht der Dinge richtig lag, war Jan noch am Leben. Und ich musste sie finden, um meine eigene Haut zu retten.
Ein Gefühl tiefer Bitterkeit ergriff Besitz von mir.
Während ich mir die Tränen abwischte, versuchte ich mich mit aller Macht zu konzentrieren, überlegte, was mich aufrecht halten, mir Hoffnung geben konnte.
Ethan.
Ich konnte nicht aufgeben. Ich durfte mich nicht in mein Schicksal ergeben. Für meinen Sohn.
Ich musste die Sache durchstehen, herausfinden, was wirklich passiert war. Ich war es Ethan schuldig, nicht im Zuchthaus zu landen.
Ich konnte nicht zulassen, dass er seinen Vater verlor. Niemals. Ich liebte Ethan über alles. Er war mein ganzes Leben.
41
Jan sagte kein Wort, als sie aus dem Juwelierladen kam und in den Pick-up stieg. Dwayne merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Jans Miene war wie versteinert, und ihre Hand zitterte, als sie die Beifahrertür hinter sich zuzog.
»Was ist los?«, fragte Dwayne. »Was haben sie gesagt?«
»Fahr«, sagte Jan.
»Wohin?«
»Fahr einfach, okay?«
Dwayne zündete den Motor und scherte so abrupt in den Verkehr aus, dass der Fahrer eines Lincoln wild zu hupen begann.
»Was stimmt denn nicht, Süße?«, sagte Dwayne. »Du siehst aus, als wäre dir ein Gespenst über den Weg gelaufen. Oder als hättest du Verstopfung.« Als Jan nicht lachte, fuhr er fort: »Komm schon, war bloß ein Witz. Also, was haben die in dem Laden gesagt?«
Jan richtete den Blick auf ihn. »Alles umsonst. Es war alles umsonst.«
Dwayne runzelte die Stirn. »Was? Ich kapiere kein Wort.«
»Wir sind am Arsch, Dwayne. Wir haben umsonst gewartet. Wir sehen keinen müden Cent.«
»Herrgott noch mal, Connie«, schnauzte er sie an. »Was zum Teufel redest du da?«
»Sie sind nichts wert«, sagte sie.
»Was?«
»Unsere Steine sind Fälschungen!«, schrie sie ihn an. »Billige Imitate! Wertlose Klunker! Hast du mich jetzt
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