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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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immer ein schlechter, übernervöser Beifahrer gewesen, der sich unweigerlich ausgeliefert fühlte, wenn er nicht selbst hinterm Steuer saß.
    »Die Ampel da vorn ist rot«, sagte er.
    »Das sehe ich, Dad.« Ich verlangsamte das Tempo, während wir uns der Kreuzung näherten. Dann sprang die Ampel auf Grün um, und ich trat wieder aufs Gas.
    »So verbrauchst du nur sinnlos Sprit«, sagte Dad. »Abruptes Anfahren und Bremsen sind schlecht für die Geldbörse – und für unser Ökosystem.«
    »Was du nicht sagst.«
    Er warf mir einen Seitenblick zu. »Tut mir leid.«
    Ich lächelte. »Schon okay.«
    »Und? Kommst du klar?«
    »Geht so«, sagte ich.
    »Jetzt lass den Kopf nicht hängen«, sagte er. »Es ist viel zu früh, die Hoffnung aufzugeben.«
    »Ich weiß.«
    »Bist du sicher, dass du die Brücke findest?«
    »Ja.« Promise Falls lag hinter uns, und wir fuhren in westlicher Richtung. Nach ein paar Meilen stieß ich auf die Landstraße, nach der ich suchte. Zweispurig, asphaltiert. Wir fuhren vorbei an Feldern, dann durch ein Waldstück und wieder an Äckern vorbei. Dann erspähte ich die Brücke. Sie führte über einen Fluss, der zwischen dicht bewaldeten Ufern hindurchströmte.
    »Da vorn ist sie«, sagte ich.
    Es war nicht gerade die beeindruckendste Brücke aller Zeiten. Sie war vielleicht fünfzehn, höchstens zwanzig Meter lang, begrenzt von einer hüfthohen Betonbrüstung. Ich fuhr auf den Seitenstreifen und stellte den Motor ab.
    Um uns herum war es totenstill; nur das Gurgeln des Wassers war zu hören. Wir stiegen aus und betraten die Brücke.
    Ich spähte hinab in den Fluss, der etwa sechs, sieben Meter unter uns lag. Das Wasser umspülte ein paar Felsen und war augenscheinlich nicht sehr tief – zwanzig, höchstens dreißig Zentimeter, wie ich schätzte. Wenn die Hitze weiter zunahm, so wie im Sommer vor zwei Jahren, würde das Flussbett ziemlich schnell austrocknen.
    Wie hypnotisiert starrte ich auf das dahinströmende Wasser.
    Dad berührte mich am Arm. »Lass uns auf der anderen Seite nachsehen.« Wir überquerten die Straße und beugten uns über die gegenüberliegende Brüstung.
    Von einer Leiche war weit und breit nichts zu sehen. Und fest stand, dass jemand, der sich das Leben nehmen wollte und von dieser Brücke sprang, mit Sicherheit nicht abgetrieben werden würde – dafür war der Fluss nicht tief und das Wasser nicht reißend genug.
    Aber ich wollte ganz sichergehen. »Ich sehe noch unter der Brücke nach«, sagte ich.
    »Soll ich mitkommen?«, fragte Dad.
    »Nicht nötig.«
    Ich lief zum anderen Ende der Brücke und die Uferböschung hinab, wo mir jedoch abgesehen von ein paar leeren Bierdosen und herrenlosen Hamburger-Verpackungen nichts ins Auge fiel.
    »Und?«, rief Dad.
    »Nichts«, rief ich zurück, ehe ich die Böschung wieder hinaufkletterte.
    »Das ist doch ein gutes Zeichen«, meinte Dad, als ich zu ihm trat. »Oder?«
    Ich schwieg.
    »Weißt du, was ich gerade gedacht habe?«, fragte er. »Sie hat ja auch keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Und das hätte sie doch wohl, wenn sie sich etwas antun wollte.«
    Ich wusste nicht, was ich denken sollte.
    »Also, wenn ich mich umbringen wollte, würde ich einen Abschiedsbrief hinterlassen«, fuhr er fort. »So machen Selbstmörder das doch. Um der Nachwelt auf Wiedersehen zu sagen.«
    »Bestimmt nicht jeder«, entgegnete ich. »Das ist bloß in Filmen so.«
    Dad zuckte mit den Schultern. »Tja, und wenn Jan Zuflucht bei jemandem gesucht hat? Aus Angst, irgendetwas Überstürztes zu tun?«
    »Bei wem denn?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht bei ihrer Familie?«
    »Sie hat keine Familie. Sie hat jeden Kontakt zu ihren Verwandten abgebrochen.«
    Offensichtlich war Dad entfallen, dass Jan schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in Verbindung mit ihrer Familie stand. Hätte er einen Augenblick nachgedacht, wäre ihm vielleicht in den Sinn gekommen, dass wir Weihnachten nie bei ihren Eltern verbrachten.
    »Möglich wär’s trotzdem«, beharrte Dad. »Vielleicht wollte sie einfach ihren Frieden mit ihnen machen. Oder ihnen ein für alle Mal sagen, was sie von ihnen hält. Wer weiß?«
    Ich ließ den Blick über die Bäume am Ufer schweifen.
    »Meinst du wirklich?«, sagte ich dann.
    »Ja. Vielleicht versucht sie ja, ihre Familie zu finden. Um endlich die Dinge zu bereinigen. Was auch immer zwischen ihnen vorgefallen sein mag.«
    Verblüfft sah er mich an, als ich ihm einen Klaps auf die Schulter gab.
    »Gar keine so schlechte Idee«, sagte

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