Keine große Affäre
vergewisserte er sich schnell, daß ihn niemand beobachtete. Die
meisten anderen Fahrgäste sahen aus, als wären sie noch nicht ganz wach. Es
waren keine kleinen Monster in Uniform anwesend. Erleichtert seufzte er auf. Er
sollte sich darüber ärgern, daß sie es riskierte, ihm eine öffentliche
Liebeserklärung zu machen, aber sie war clever, verschlüsselt, eine Botschaft
nur für ihn. Es war etwas Besonderes. Jetzt wußte er, wie man sich als Nudel
oder Flopsy Bunny fühlte. Errötend hielt er sich die Zeitung noch dichter vors
Gesicht.
Lia hatte mehrere Küchenabteilungen
abgeklappert, aber nirgends gab es das, wonach sie suchte. Schließlich fand sie
eins, in einer Packung mit Weihnachtsförmchen, die auf den halben Preis
heruntergesetzt waren, in einem Korb vor einem Haushaltsgeschäft. Sie mußte das
gesamte Set kaufen, aber das war die Sache wert. Sie lächelte während des
gesamtes Heimwegs. Sie wollte etwas Besonderes machen. Sie hatte ihm eine Karte
gegeben, aber das schien einfach nicht genug zu sein nach dem riesigen Strauß
langstieliger Rosen, den er über Nacht im Schuppen versteckt hatte. Sie hatte
sich gefragt, warum er so früh auf war und wieso ihr Frühstück auf dem
Küchentisch bereitstand. Sie war umhergelaufen, während sie ein Stück Toast aß,
bis er mit kaum verhohlener Ungeduld zu ihr gesagt hatte: »Setz dich doch bitte
hin, wenn du ißt!«
Sie hatte ihren Stuhl vom Tisch
weggezogen, und da waren sie: ein Dutzend fest eingerollter, seidiger roter
Blüten mit Tautropfen darauf. Neil war ein echter Blumenkenner. Sie hatten
keine Vase, die groß genug war, und sie mußte die Stengel kürzen, aber die
Rosen sahen phantastisch aus, als sie sich in der warmen, dunstigen Küche
leicht öffneten. Die schönsten Blumen, die sie je bekommen hatte. Aber es war
seltsam, denn sie war sich so sicher gewesen, daß sie nur eine Karte kriegen
würde. Neil hatte sich schon über die Kommerzialisierung des Valentinstags
aufgeregt, seit kurz nach Weihnachten die ersten Herzmotive in den Läden
aufgetaucht waren. Es war ein abgekartetes Spiel, hatte er gesagt, einfach nur
eine Rechtfertigung, mehr Geld zu drucken, und er wünschte, das würde aufhören.
Alison wußte, daß sie nicht enttäuscht
sein sollte, aber sie konnte es nicht ändern. Den ganzen Tag über waren Blumen
abgegeben worden, und jedes Mal, wenn der Junge vom Posteingang das
Großraumbüro mit einem weiteren Blumenkorb oder einem Strauß betrat, hatte ihr Herz ausgesetzt, und sie
hatte sich gefragt, ob es das sein konnte. Er war jedoch unweigerlich in die
entgegengesetzte Richtung marschiert oder an ihr vorbei zum Tisch der
Feuilletonredaktion, und sie war leer ausgegangen. Sie versuchte, nicht ständig
zur Tür zu blicken, wenn das Rascheln von Zellophan einen weiteren Auftritt
ankündigte, aber es war unmöglich.
»Feiert ihr heute abend?« fragte
Ramona sie und schlürfte einen Schluck Kaffee.
»Na ja, unser Kindermädchen hat frei,
also bleiben wir zu Hause. Ich glaube, ich kauf auf dem Heimweg schnell was
Schönes zu essen ein«, sagte Alison.
»Was ißt Stephen denn am liebsten?«
fragte Ramona.
»Er ist mit foie gras auf
getoasteter Brioche genauso zufrieden wie mit Fraß von MacDonald’s. Ehrlich
gesagt, weiß ich nicht einmal, ob er den Unterschied bemerken würde«, sagte
Alison liebevoll. Sie blickte auf und sah, wie ein handgebundener Strauß roter
Rosen mit Gipskraut auf sie zusteuerte und dann an ihr vorbeigetragen wurde.
»Vielleicht hat er dir etwas gekauft«,
sagte Ramona, die die Enttäuschung im Gesicht der Kollegin sah.
»Ja, wahrscheinlich. Wenn er dran
gedacht hat. Normalerweise tut er das, weil ich ihm morgens eine Karte
schenke«, antwortete Alison, schaute schnell wieder auf den Computer und dann
zurück zu Ramona.
Warum bist du dann so enttäuscht, daß
er dir keine Blumen geschickt hat? hätte Ramona sie am liebsten gefragt, das
konnte sie sehen. Aber sie hielt sich zurück, weil sie irgendwie spürte, daß
eine solche Frage einen sehr empfindlichen Nerv treffen würde.
Alison ging um fünf aus dem Büro und
blieb vor dem Gebäude auf dem Bürgersteig stehen. Es war sehr kalt. Sie trat
auf der Stelle und versuchte sich zu entscheiden, in welche Richtung sie gehen
sollte. Die Alternativen waren, die U-Bahn nach Hause zu nehmen und zu hoffen,
daß es in den Geschäften dort noch etwas Schönes zu essen gab oder in einen Bus
nach Soho zu steigen und bei Camisa’s frische Pasta, Provolonekäse
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