Kennwort: Schwarzer Ritter
gehabt hatte. Dann kam sein berühmter Vater, dieser leicht erregbare Richter, der sie, Kate, aus dem Fall heraushaben wollte, der aber kein offensichtliches Motiv hatte, seine Schwiegertochter zu töten. Und dann war da natürlich noch seine Frau – die reizende, scheue Hallie –, die nach den Worten von Rose alles für ihren ältesten Sohn tun würde. Und zum Schluss gab es noch Lynn Flannery, die Molly geliebt und ihren Lebenswandel gehasst hatte, und Denise Jenkins, die offenbar eifersüchtige Geliebte.
War einer von ihnen aufgrund ihrer Nachforschungen ein wenig zu nervös geworden? Oder gab es noch einen anderen? Einen, an den sie noch nicht gedacht hatte?
Plötzlich verstand Kate Mitchs Verhalten von vorhin, seine geflüsterte Unterhaltung mit dem Polizisten an der Union Station, die Eile, mit der er sie und Alison aus dem Bahnhof gebracht hatte, seine lange, intensive Befragung auf der Fahrt zum Cleveland Park. Sie war noch zu mitgenommen und zu sehr mit Alison beschäftigt gewesen, um seine Absichten zu erkennen oder zu verstehen, warum er so sehr darauf gedrängt hatte, die Nacht bei ihr zu verbringen.
Jetzt wusste sie es.
Er hatte auch nicht an einen Unfall geglaubt.
Sie lag im Dunkeln und beobachtete die seltsamen Schatten, die ein Ast der alten Eiche draußen im Garten an die Wand malte. Einer sah aus wie eine stürzende Frau. Kate brauchte noch eine ganze Weile, ehe sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
21.
KAPITEL
E igentlich war Kate nicht so leicht einzuschüchtern. Aber der Gedanke, dass Alison in Gefahr schweben könnte, war für sie Grund genug, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, an die sie vorher nie gedacht hatte. Am folgenden Morgen fuhr sie Alison zur Schule und sprach mit ihrer Lehrerin. Sie schärfte ihr ein, dass niemand außer ihr oder Eric ihre Tochter abholen durfte.
Auf dem Weg zu ihrem Büro rief sie Mitch an. „Sag mir die Wahrheit“, forderte sie ihn auf, als er den Hörer abnahm. „Glaubst du, dass Alison oder ich gestern Abend gemeint waren – oder die Japanerin?“
Er schwieg eine Weile, bevor er fragte: „Wie kommst du darauf?“
„Wegen Eric. Er ist gestern noch gekommen und wollte Alison mit zu sich nach Hause nehmen, weil er der Meinung ist,
ich
war das Angriffsziel und nicht Miss Magasa.“
Sie hörte, wie Mitch seufzte. „Das habe ich auch schon überlegt.“
„Und warum hast du’s mir nicht gesagt?“
„Weil ich dich nicht beunruhigen wollte, ohne einen konkreten Beweis zu haben.“
„Und jetzt hast du einen?“
„Nein. Alles, was wir haben, sind zwei mögliche Verdächtige. Beide wohnen in der Gegend von Washington, und auf beide trifft Alisons Beschreibung zu. Einer ist ein Exjunkie mit zahlreichen Vorstrafen. Er hat von Geburt an ein deformiertes Ohr. Der andere ist Luther Whorley. In gewissen Kreisen ist er als van Gogh bekannt, weil er ein Ohr bei einer Kneipenschlägerei verloren hat. Er arbeitet für seinen Onkel, der Boss eines berüchtigten Gangstersyndikats ist – Lou Torres.“
Kate war der Namen wohl bekannt. Lou Torres hatte als Kredithai angefangen, ehe er Karriere machte und schließlich zum Boss einer der mächtigsten Verbrecherorganisationen an der Ostküste aufstieg. Torres’ „saubere“ Schmiergelder an Polizisten und Politiker ermöglichten es ihm, Buchmacher- und Kreditgeschäfte ebenso ungestört zu betreiben wie seine Pornoläden und Bordelle. Dank seiner guten Verbindungen und aalglatten Geschicklichkeit war er bisher stets von Gefängnisstrafen verschont geblieben, weil er die besten Anwälte im ganzen Land verpflichtete.
„Warum sollten Torres oder sein Neffe mich umbringen wollen?“
„Im Gegensatz zu seinem Onkel hat Luther gesessen. Hast du ihn jemals vor Gericht angeklagt?“
„Nein.“
„Das dachte ich mir. Und wenn er sich an dir rächen wollte, warum sollte er dann so lange warten?“
„Ich möchte, dass diese beiden Männer vernommen werden – Luther und dieser Exjunkie.“
„Das werden sie auch.“
Um fünf Uhr, als Kate und Alison gerade eine Soap-Serie im Fernsehen anschauten, rief Mitch sie zurück. „Der Neffe von Torres ist gerade eingeliefert worden.“
Kate warf einen Blick auf Alison. „Und was ist mit dem anderen Mann?“ fragte sie leise.
„Er ist im Januar an Lungenkrebs gestorben.“ Er machte eine Pause. „Ich möchte eine Gegenüberstellung mit Luther machen. Kannst du Alison ins Hauptquartier bringen?“
Kates Muskeln verkrampften sich. „Warum fragst du nicht die andere
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