Kesseltreiben
zwinkerte ihnen zu, worauf ein Mädchen und ein Junge sofort den Blick senkten.
»Das sind die Jungschützen«, erklärte Lettie, nachdem sie sich gesetzt hatte. »Und die beiden, die gerade so tun, als wären sie gar nicht da, sind in unserer Theatergruppe. Das ist ihnen ein bisschen peinlich. Dabei haben sie Spaß an der Schauspielerei und sogar Talent.«
Van Beek brachte die Getränke und hantierte umständlich mit den Bierdeckeln.
An der Theke standen dicht beieinander sechs Männer, alle so um die siebzig, und hielten sich an ihren Biergläsern fest.
»Die zwei sind die einzigen Jüngeren beim ›Tingeltangel‹, plauderte Lettie weiter. »Sonst sind wir nur olle Puten und ein paar eitle alte Männer. Dich schickt also der Himmel. Endlich ein jugendlicher Liebhaber! Da sieht es mit der Stückeauswahl doch gleich ganz anders aus.«
Bernie musste lachen. »Na, ich weiß nicht, jugendlich …«
»Du fischst nach Komplimenten, mein Lieber. Wie alt bist du? Dreißig?«
»Ich werde bald vierunddreißig.«
»Na bitte, im besten Mannesalter.«
Sie nahm ihr Glas Alsterwasser und trank es in einem Zug halb leer.
»Man hat aber auch einen Durst bei dieser Wärme! Also hör zu, im Mai fangen wir mit einer neuen Produktion an. Du bist doch dabei? Darfst auch das Stück mit aussuchen«, lockte sie.
»Natürlich bin ich dabei, wenn ich es zeitlich irgendwie hinkriege.«
»Das wirst du schon, am Anfang proben wir nur einmal die Woche. Im Landhaus Küppers, die haben einen großen Saal mit Bühne. Der Landhauschef steht übrigens an der Theke. Der mit der Glatze.«
Bernie schaute hinüber und nickte. »Jungschützen«, meinte er dann. »Gibt es noch mehr Vereine im Dorf?«
Lettie lachte hell auf. »Noch mehr Vereine? Hier wirst du von Vereinen erschlagen. Angelsportverein, Kirchenchor, Kinderchor, Landfrauen, Fußball, Tennis, Heimat- und Verkehrsverein …«
Bernie betrachtete sie. Sie war klein und kompakt, hatte aber immer noch ein zartes Gesicht mit hohen Wangenknochen und klaren grauen Augen. Das wellige weiße Haar trug sie locker aus dem Gesicht gekämmt. Man sah ihr an, dass man es nicht immer gut mit ihr gemeint hatte, trotzdem glühte sie vor Leben.
»… die Messdiener, der Schützenverein, der jedes Jahr die Nikolausfeier bei Küppers ausrichtet, der ›Eilbote Kessel‹ …«
»Eilbote?«
»Das ist der Taubenzuchtverein«, erklärte Lettie. »Jetzt geht mir langsam die Puste aus. Ach ja, und dann kann man bei uns noch Pferde segnen lassen.«
»Du willst mich veräppeln!«
»Keineswegs, Pferdesegnung jedes Jahr am zweiten Weihnachtstag zum Patronatsfest.«
Bernie schüttelte den Kopf. »Und du, Lettie? In welchen Vereinen bist du?«
»In keinem, ich bin überhaupt kein Vereinsmeier. Ich komme ja auch nicht aus Kessel, aber ich wohne schon zweiunddreißig Jahre hier.«
»Ich weiß, du bist Holländerin, obwohl man das kaum noch hört. Die ganzen zweiunddreißig Jahre in einer Frauen-WG?«
»Um Gottes willen, was glaubst du, was da über uns getratscht worden wäre, damals in den Siebzigern? Nein, nein, so war es nicht.« Sie seufzte tief. »Es gibt da ein dunkles Geheimnis in meinem Leben. Ursprünglich komme ich aus Utrecht und war dort Krankenpflegerin. Da habe ich ein Techtelmechtel mit dem Chefarzt angefangen. Die alte Geschichte, du weißt schon, die ewige Geliebte. Es hat vierzehn Jahre gedauert, bis ich endlich kapiert hatte, dass er seine Frau niemals verlassen würde.«
Bernies Herz machte einen kleinen Satz.
»Etwa zur gleichen Zeit starb der Mann meiner besten Freundin, und sie war furchtbar einsam«, fuhr Lettie fort. »Und so bin ich dann hierher zu Monique gezogen, quasi aus Utrecht geflohen. Und vor sechs Jahren ist dann noch meine Cousine dazugekommen, als sie in Rente gehen musste. Sie war Lehrerin in Hilversum.«
»Ich kann es kaum glauben.« Bernie gab sich einen Ruck. »Ich bin aus Krefeld geflohen, Lettie. Ich hatte eine Affäre mit der Frau meines Chefs. Keiner wusste davon. Und ich war so blöd, mich richtig in sie zu verlieben.« Er starrte ins Leere.
Lettie griff nach seiner Hand. »Und für sie war alles nur ein Abenteuer, richtig?«
»Richtig! Und da habe ich mich lieber vom Acker gemacht.«
»Kluger Junge.« Sie tätschelte ihn. »Lass uns noch ein Glas auf unsere dunklen Geheimnisse trinken.«
Als van Beek die Getränke brachte, war er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen.
»Alter Saufkopp«, raunte Lettie. »Hat den Laden hier ganz schön
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