KGI: Tödliche Rache (German Edition)
Irgendwie musste er dies alles sortieren und klären. Auf keinen Fall würde er auf das Kind verzichten, und auf Sophie ebenso wenig. Weiter konnte er im Moment nicht denken, und andere Gedanken würde er auch gar nicht erst zulassen.
Sophie kam barfuß und mit feuchtem Haar aus dem Badezimmer. Während sie nach ihren Schuhen suchte, rubbelte sie es mit einem Handtuch so weit wie möglich trocken.
»Suchst du die hier?«, fragte Sam und warf ihre Sneakers aufs Bett. »Wir müssen los. Bis zu dem sicheren Haus brauchen wir noch ein paar Stunden.«
Sie ließ das Handtuch fallen und schnappte sich die Socken, die Sam neben die Schuhe gelegt hatte.
»Ich hole die restlichen Sachen aus dem Badezimmer, dann können wir aufbrechen. Alles andere habe ich schon.«
Sophie nickte, zog die Schuhe an und band sich rasch die Schnürsenkel. Sie war schon außerordentlich gespannt auf dieses sichere Haus. Wie lange Sam wohl dort bleiben wollte? Hatte er vor, sie dort zurückzulassen, während er Jagd auf ihren Onkel machte?
Gesagt hatte er ihr nichts, aber sie war schließlich nicht blöd. Sie an seiner Stelle würde das Gleiche tun. Es würde ihr nicht leidtun, wenn die Reste des Imperiums ihres Vaters zerstört würden. Tomas war erst mal lahmgelegt, weil ihm der Schlüssel fehlte, den Sophie gestohlen hatte. Seine Quellen würden mehr und mehr versiegen, und er würde immer verzweifelter werden.
»Ich bin so weit«, sagte sie und richtete sich auf.
Sam führte sie aus dem Motelzimmer, wobei er unablässig mit den Augen die dunkle Umgebung absuchte. Als er ihr in den Wagen half, spürte sie, wie angespannt und überaus wachsam er war. Er schnallte sie an und ging dann um den Wagen herum zur Fahrerseite. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Dieser Mann war wirklich gründlich, das musste man ihm lassen. Er machte keine halben Sachen.
Den Menschen, die er liebte, verhielt er sich absolut loyal gegenüber. Seine Familie. Seine Freunde. Wenn er sich seiner Tochter gegenüber wenigstens halb so loyal verhalten würde, würde sie eine überaus glückliche Kindheit haben. Sophie zweifelte nicht daran, dass Sam alles geben würde. Niemand würde ihm wichtiger sein als sein Kind.
Sie war so traurig, dass sich ihre Brust vor Schmerz zusammenzog. Wie es sich wohl anfühlte, wenn man so bedingungslos geliebt wurde? Sie konnte nur hoffen, dass sie geben konnte, was sie selbst nie bekommen hatte. Hoffentlich gelang ihr das.
Eigentlich war es egal, ob die Entwicklung eines Kinds mehr von seinen Genen als von seiner Erziehung – oder umgekehrt – abhing. Bei ihr war beides eine Katastrophe.
»Es wird bald hell werden«, sagte Sam. »Etwa in einer Stunde. Wir kommen im Laufe des Vormittags an. Gerade noch rechtzeitig zum Frühstück. Ich weiß, du hast gesagt, du bist hungrig, aber meinst du, du hältst noch ein paar Stunden durch?«
»Ich habe nur Spaß gemacht«, erwiderte sie grinsend. »Gestern Abend habe ich so viel in mich reingestopft, dass ich wahrscheinlich die ganze Woche nichts mehr brauche.«
Er warf einen kurzen Blick auf ihren Bauch. »Soso. Ich habe gehört, dass man Schwangeren niemals glauben darf, wenn sie behaupten, sie würden nie wieder was essen.«
Sie lachte und genoss es, sich so sorglos zu fühlen. Angesichts der ganzen Situation war das natürlich absurd und völlig unpassend. Aber sie hatte sich schon lange nicht mehr sicher genug gefühlt, um wenigstens mal einen kurzen gestohlenen Moment zu genießen, ohne Angst vor Verlust und Tod.
Sie drehte den Kopf weg. Es war ihr peinlich, dass sie so problemlos vergessen hatte, was hier auf dem Spiel stand. Sie räusperte sich, als könnte sie ihre Gefühle damit vertreiben.
Der Himmel verfärbte sich lavendelfarben, und nur noch ein einzelner Stern hielt sich hartnäckig am Firmament und funkelte wie ein Diamant auf einer samtenen Unterlage. Sie konnte den Blick nicht von dem Stern abwenden. Sterne hatten sie schon immer fasziniert. Als Kind hatte sie zahllose Stunden damit verbracht, sich etwas von ihnen zu wünschen.
Sie hatte schon früh gelernt, dass Wünsche selten in Erfüllung gingen und dass es sehr viel sinnvoller war, auf die eigenen Fähigkeiten zu bauen. Jahrelang hatte sie daran gearbeitet, das sehnsuchtsvolle kleine Mädchen in sich abzutöten. Am Anfang hatte sie dieses Mädchen noch beschützen wollen, doch dann hatte sie alles darangesetzt, es auszulöschen. Die Frau, die ihren Vater erschossen hatte und nicht die geringste Reue empfand, hatte
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