Killerspiel
halten, Katz und Maus spielen.
»Sie haben Angst«, sagte ich.
Sie blinzelte. »Wie bitte?«
»Sie haben mich sehr wohl verstanden.«
»Wissen Sie was, ich mach’s. Ich vermöbel Sie jetzt so richtig.«
»Nicht vor
mir.
Ich hab kapiert, dass Sie härter drauf sind als ich, okay? Gratuliere. Aber Sie haben Angst vor etwas, und es bringt Sie nicht weiter, wenn Sie mir gegenüber explodieren.«
Der Griff an meinem Arm wurde noch fester, dann ließ sie ihn plötzlich los. Sie wandte den Blick ab und starrte auf die Ziegelmauer vor uns. Sie drückte mit dem jeweiligen Mittelfinger gegen den Daumen derselben Hand, presste die Finger einen Moment fest aufeinander, bevor sie den Griff wieder lockerte und hörbar die Luft ausstieß.
»Ich brauch was zu essen«, sagte sie, als hätte die letzte Unterhaltung nicht stattgefunden, als sei sie die Freundin eines Freundes, die nur zufällig gerade an diesem sonnigen Freitagmorgen im selben Wagen sitzt. »Sie vermutlich auch.«
Schon bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht.
»Wie Sie wollen«, antwortete sie und zuckte die Achseln. »Aber Sie müssen wenigstens Flüssigkeit zu sich nehmen, oder es wird heute immer schlimmer für Sie. Und, vertrauen Sie mir, auch so können Sie Ihre Erwartungen getrost ganz tief ansetzen.«
Sie öffnete ihre Tür. »Kommen Sie nun, oder was?«
Sie dirigierte mich zu einem Tisch in der Ecke des Restaurants, wo sie den Unrat der letzten Gäste mit einer seltsam zimperlichen Handbewegung auf ein Tablett kehrte, bevor sie zur Theke marschierte. Während sie in der Schlange wartete, zog sie ein Handy heraus und drückte eine Schnellwahlnummer.
Es roch nach Fritten und Ketchup und klang nach einem experimentellen Sender namens »Radio Mensch«: schmatzende Gäste, krakeelende Kinder, Telefonate, Rülpsen, Atmen, Leben. Ich komme nicht oft in einen Burger-Imbiss, und zwar genau aus demselben Grund, aus dem ich ins Fitnesscenter gehe und Blogs über positives Denken lese. Weil wir das tun sollen. Wir sollen das Richtige essen, das Richtige denken, den Planeten anständig behandeln: die endlosen zwischenmenschlichen Rituale, die darauf zielen, andere gut über uns oder uns gut über uns selbst denken zu lassen. Die Menschen schimpfen endlos über Gott – wie froh wir sein können, ihn endlich los zu sein, dabei wirft er uns wenigstens gelegentlich einen Knochen hin, indem er uns eine gute Ernte oder auch eine Eintrittskarte in den Himmel schenkt. Der innere Zuchtmeister dagegen, dem wir jetzt hörig sind, hält nichts von solchem unnötigen Firlefanz wie Motivation. Er/sie will uns einfach nur als seinen Fußabstreifer.
Doch Steph und ich haben ein Ritual. Alle Jubeljahre mal gehen wir in einen UltraBurger oder Kingdom of Fries – auch wenn es gewöhnlich ein McDonald’s ist –, wir ziehen das einfach durch und demonstrieren damit, dass wir über dem Zeitgeist stehen, dass wir unsere eigene Wahl treffen. Plötzlich wurde mir allerdings bewusst, dass das letzte Mal Monate her war. Ich hatte mich offenbar viel zu lange programmieren lassen. Wir beide. Die Zeit hatte uns geduldig und beharrlich die Kanten abgeschliffen und austauschbar gemacht.
Und jetzt brach das Programm zusammen, und ich hatte nur noch den einzigen Wunsch, meine Frau zu finden und die Dinge wieder ins Lot zu bringen.
Als ich sah, wie die Frau sich zur Spitze der Schlange voranarbeitete – sie hatte ihr Telefonat inzwischen beendet –, machte ich mir klar, wie überzeugend sie bei Jonny Bo’s gewesen war, und zwar sowohl bei unserem Hochzeitstagsessen als auch bei meinem Kaffeetrinken mit Hazel – der ich, wie mir plötzlich einfiel, einen Anruf schuldig war, auch wenn ich nicht wusste, wann ich dazu kommen würde. Bei Bo’s war diese durchgeknallte Frau routiniert, professionell – der Inbegriff der perfekten Kellnerin gewesen.
Mit anderen Worten: Sie war eine gute Schauspielerin. Der Gedanke traf mich wie ein Schlag und setzte sich fest, so dass ich den Kopf hob, sie aufmerksam beobachtete und anfing, mir Fragen zu stellen.
Was wusste ich wirklich? Ich wusste, dass diese Frau daran beteiligt gewesen war, Fotos von Karren auf meinem Laptop zu speichern. Vielleicht hatte sie die E-Mail an Janine geschrieben, mit der Bitte, bei Bo’s, dem Restaurant, in dem sie – vermutlich zur Tarnung – arbeitete, einen Tisch für uns zu reservieren. Was sie damit tarnte, verstand ich bis jetzt noch nicht. Ein paar Dinge wusste ich also.
Dagegen wusste ich
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