Killerspiele: Palinskis fünfter Fall (German Edition)
konnte man seinem starren Gesicht aber ansehen, wie widerlich er es fand, mit diesen urweiblichen Unzulänglichkeiten belästigt worden zu sein.
Helga Martens gab sich noch einmal kurz einer scheinbaren Krampfattacke hin, dann stand sie auf und schleppte sich gebeugt zur anderen Seite der Halle. In diesem Moment lag ihr Wiegele für ihr schauspielerisches Talent zu Füßen. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Denn ein wenig von einem Macho steckte auch in ihm.
Dann aber deckte der Hauptkommissar Signore Gargarello derart mit weiteren Fragen ein, dass diesem erst nach fast 20 Minuten bewusst wurde, dass diese Frau noch immer nicht zurückgekehrt war.
* * *
Als sich die Polizisten dreißig Minuten später wieder bei den Autos trafen, hatten auch die beiden im Freien gebliebenen Wachtmeister einen interessanten Beitrag zum aktuellen Erkenntnisstand zu leisten. Kurz nachdem die Kollegen in Zivil im Hotel verschwunden waren, war ein wütender Einheimischer mit seinem PKW erschienen und hatte einen Unfall mit Fahrerflucht gemeldet. Eigentlich hatte sich Theo Amstler, so hieß der Mann aus Beuren, im Hotel nach dem Halter eines silberfarbenen Audi A 8 erkundigen wollen, der ihn zuerst angefahren und dann noch in den Graben gedrängt hatte. »Und danach ist diese Sau nicht einmal stehen geblieben«, hatte sich der Mann nicht zu Unrecht erregt, wie die beiden Beamten fanden.
Gleichzeitig hatte ihnen Amstler berichtet, dass eine ganze Kolonne von Fahrzeugen aus der Hotelausfahrt gefahren war, die sich dann in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatte.
Warum er nicht schon früher, gleich nach dem Unfall, zum Hotel gekommen sei, wollten die Polizisten noch wissen, nachdem sie die Anzeige aufgenommen hatten.
Amstler begründete das mit einem gewissen Unbehagen, das ihn angesichts der zum Teil finsteren, gefährlich wirkenden Gestalten in den Fahrzeugen überkommen hatte. »Ich wollte abwarten, überlegen, wie ich vorgehe«, hatte er erklärt und die Beamten hatten durchaus verstanden.
Helga war aus der Damentoilette durch ein Oberlicht in einen Hinterhof geklettert und so in die Küche gelangt. Die großen, mit noch halb garem, heißen Kochgut gefüllten Töpfe bewiesen, dass das Mittagessen in Vorbereitung gewesen war. Die sogenannten Ausflüge der Gäste waren also das, was Wiegele schon vermutet hatte, eine Flucht vor der Polizei.
Wer aber hatte Gelegenheit und Grund dazu, die bunte Gesellschaft offensichtlicher Galgenvögel aus aller Welt so rechtzeitig zu warnen, dass alle noch vor dem Eintreffen der Polizei verschwinden konnten? Die einzig logische Erklärung erschien Wiegele so schrecklich, dass er sie nicht zuließ und einfach verdrängte. Zumindest für den Augenblick.
Helgas kühner Schachzug, der nur deswegen nicht ins Auge gegangen war, weil es Gargarello nicht gewagt hatte, auf der Suche nach ihr das Damenklo zu betreten, hatte darüber hinaus auch interessante Beute gebracht: einige Listen, mit deren Inhalten sie im Moment noch nichts anfangen konnten. Da waren aber auch noch drei Videobänder, eines davon mit der Aufschrift ›Saladier‹. Was immer das bedeutete und ob es etwas mit den beiden Fällen zu tun hatte, würde sich erst später in Singen beantworten lassen.
Nur eines wusste Wiegele jetzt schon sicher: Er würde nichts unversucht lassen, um Helga Martens als dauerhafte Mitarbeiterin zu gewinnen.
4
Freitag, 25. Oktober, Nachmittag
Juri Malatschew aß schon seine Suppe, als Palinski das ›Café Kaiser‹ betrat. Natürlich war es wieder eine Grießnockerlsuppe, die der alte Russe mit fast spiritueller Andacht in sich hineinlöffelte. Er liebte diese flaumige, unvergleichliche Suppeneinlage, die niemand so gut zubereiten konnte wie seine Großmutter in Kasan, die eine halbe Böhmin gewesen war. Gott sei ihrer armen Seele gnädig. Aber die Grießnockerln im ›Café Kaiser‹ kamen diesem unerreichten Ideal weltweit am nächsten.
Vorsichtig näherte sich Palinski dem Tisch. Juri hasste nichts mehr als beim Essen gestört zu werden. Da konnte der gutmütige Bär rasch grantig werden.
»Mario, mein Freund, was drückst du dich so in der Gegend herum?«, brummte Juri. »Sei mutig und tritt an meinen Tisch, wenn du etwas von mir willst. Oder setze dich woanders hin, aber dein Herumstehen macht mich ganz nervös.«
»Gospodín Juri, es ist mir eine Ehre«, flachste Palinski zurück, »darf ich an deinem Tisch Platz nehmen?«
»Da«, meinte der Russe, »das heißt ›ja‹, aber
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