Kim Schneyder
diesmal, fällt bei mir der Groschen: Mein Opa hatte einmal eine Kuh namens Berta, die habe ich vom ersten Augenblick an geliebt. Und jetzt, als Bodo mir gegenüber Platz nimmt und mich fragend anschaut, wird es zur Gewissheit. Sein Blick ist haargenau der gleiche wie seinerzeit bei der guten Berta, wenn sie nicht wusste, ob es schon an der Zeit war, in den Stall zu trotten, oder ob sie noch Zeit hatte, sich ein weiteres saftiges Gräschen zu rupfen.
Au Backe, Bodo hat die Augen einer Kuh.
»Worüber denken Sie denn so angestrengt nach?«, fragt Berta … äh … Bodo plötzlich.
»Über Ihre Augen«, kommt es mir über die Lippen. »Die erinnern mich an jemanden.«
»Tatsächlich? Und an wen?«
»An … jemanden aus vergangenen Tagen«, weiche ich aus.
Er hebt interessiert eine Augenbraue. »Hoffentlich jemand, den Sie mochten?«
»Ja, sehr sogar«, nicke ich. »Man könnte es sogar als eine Art Jugendliebe bezeichnen.« Kaum ist der Satz draußen, beiße ich mir auf die Zunge. Das hätte ich wohl besser für mich behalten.
Aber Bodo springt sofort darauf an. »Tatsächlich? Erzählen Sie!«
Ich zögere kurz, dann schüttle ich den Kopf. »Alte Geschichten soll man nicht aufwärmen«, versuche ich die Kurve zu kriegen. Das mit Berta kann ich ihm auf keinen Fall erzählen.
»Kein Happy End also?«, rät er.
»Nicht wirklich«, seufze ich erleichtert über diesen Ausweg. Und irgendwie stimmt es sogar, denn als ich später zur Schule ging, sah ich Berta nur noch selten, und irgendwann war sie ganz aus Opas Stall verschwunden, ohne dass ich jemals erfahren hätte, wohin.
Bodo hat inzwischen die Flasche geöffnet.
»Das ist übrigens ein Verduzzo Friulano«, erklärt er feierlich, während er einschenkt.
»Wirklich?«, sage ich beeindruckt. Und nach einer kleinen Pause: »Ist das ein besonderer Wein?«
»Das möchte ich meinen«, lacht er und zeigt dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne. »Das ist ein Siebenundachtziger von der Casa Piccini, davon produzieren die nur wenige Flaschen im Jahr, und selbst das nur, wenn das Wetter mitspielt. Den kriegt man in keinem Geschäft der Welt«, klärt er mich auf.
»Ist er süß?«, frage ich, denn das ist für mich das einzig gültige Kriterium für die Qualität von Wein.
»Zuckersüß«, nickt er stolz. »Wir können übrigens auch Du sagen, das wäre einfacher, finden Sie nicht?«
Ich halte das für eine ausgesprochen gute Idee. Wozu einen Jachtbesitzer mit einer förmlichen Anrede auf Distanz halten, wenn der doch eigentlich ganz niedlich ist?
»Klar, warum nicht? Nachdem wir schon gemeinsam gebadet haben …«, riskiere ich einen kleinen Witz, aber er geht nicht darauf ein.
»Also dann, ich bin Bodo«, sagt er. »Prost.«
»Heidi. Prost.«
Ich nippe an meinem Glas und erkenne sofort, dass Bodo nicht übertrieben hat. Der Wein ist wirklich ungewöhnlich süß. So, jetzt nur noch einen winzigen Schluck Cola dazu, und dann … perfekt! So muss guter Wein schmecken.
»Was machst du denn da?« Bodo fallen fast die Augen aus dem Kopf.
Mist. Stimmt ja, für diese Weinkenner ist es die reinste Blasphemie, wenn man einen edlen Tropfen mit Cola verfeinert. Hoffentlich hält er mich jetzt nicht für einen dahergelaufenen Bauerntrampel, das wäre nicht unbedingt der beste Start in die gehobene Gesellschaft.
Zeit für ein paar Gegenmaßnahmen. Um aus dieser Patsche wieder herauszukommen, hilft nur eins: Frontalangriff!
»Aber das macht man jetzt so«, behaupte ich und achte dabei auf meine Bauchatmung, damit ich nicht rot werde. Und dann mit der nötigen Portion Verwunderung in der Stimme: » Wusstest du das gar nicht?«
»Wie … äh, nein«, schüttelt er verwirrt den Kopf. » Wer macht das jetzt so?«
»Na, so ziemlich sämtliche Weinexperten auf der Welt«, erkläre ich.
»Die schütten Cola in ihren Wein?« Er schüttelt ungläubig den Kopf.
Ups. Da habe ich vielleicht doch etwas dick aufgetragen. Schnell rudere ich zurück. »Nein, nein, es kommt nicht auf die Cola an, sondern auf den Süßstoff, weißt du? Durch den Süßstoff kommen die ganzen Aromastoffe erst so richtig zur Entfaltung, die … ähm … Tannine, und die Phenole, und die Neoplasmen … und die ganzen anderen.«
Er glotzt mich einen Moment lang an, und ich versuche seinem Blick standzuhalten. Mist, hoffentlich ist er kein Experte, denn ich habe keine Ahnung, was ich da eigentlich gefaselt habe.
»Tenside, Neoplasmen?« wiederholt er ungläubig. Die Nervosität ergreift mich mit
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