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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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erbarmungsloser Kampf ums Überleben statt, geführt von Geschöpfen, die von der Natur großzügig mit Waffen aller Art ausgestattet worden sind. Selbst die meisten Pflanzen sind giftig. Wer sich zu lange ihren Absonderungen aussetzt und zum Beispiel so dumm wäre, in einer Astgabel oder einem Muldenblatt zu schlafen, wird verdaut und assimiliert. Harmlos aussehende Schmetterlinge können mit den Farbmustern ihrer Flügel Menschen hypnotisieren und legen ihre Eier in den Körpern von Mammalia ab. Werden sie nicht rechtzeitig entfernt, fressen sich die Larven schon nach zwei Tagen durch lebendes Fleisch. Nachts sind in der dritten Ebene Schwarmfliegen auf der Suche nach Beute, und wenn sie ein Opfer finden, macht sich der ganze Schwarm darüber her. Lukas hat mir damals von einem Springer erzählt, der unten im Süden abgestürzt ist und kein Notsignal senden konnte. Die drei Männer an Bord überstanden den Absturz unverletzt, aber zwei von ihnen waren schon eine Stunde später tot. Der dritte war vorsichtiger und machte sich in einem Schutzanzug auf den Weg, der ihn zumindest vor den Verdauungssäften der Bäume schützte. Aber als er in der ersten Nacht den Schutzfilm vor Mund und Nase öffnete, um ein wenig Luft zu schnappen, witterte ihn eine Späherfliege. Er versuchte, dem Schwarm zu entkommen, doch nach dreißig Kilometern waren die Batterien seines Gravmotors leer. Oder der Motor wurde von eingedrungenen Schwarmfliegen lahmgelegt – das ging nicht eindeutig aus den automatischen Aufzeichnungen hervor, die man später fand.«
    Leandra war blass geworden. »Was geschah mit dem Mann?«
    »Die Fliegen fraßen ihn«, sagte Esebian. »Der Schwarm lässt nie ein Opfer entkommen.«
    Leandra sah erneut aus dem Fenster, diesmal voller Unbehagen, und deutete auf ein kleines Insekt, das an der Scheibe klebte. »Ist das …«
    »Keine Sorge, mein Kind«, sagte Jacinta. »Lassen Sie sich keine Angst einjagen. An Bord dieses Springers sind wir völlig sicher.«
    »Ich bin einmal allein im Wald unterwegs gewesen«, verkündete Lazich.
    »Tatsächlich?« Leandra sah ihn groß an.
    »Letztes Jahr«, sagte der junge Mann und begann damit, seinen abenteuerlichen Ausflug in allen Einzelheiten zu schildern.
    »Das dort draußen sollte uns eine Lehre sein.« Esebian deutete durch den transparenten Bug des Springers. In einer Höhe von einigen Dutzend Metern flogen sie über die Wipfel der Titanbäume hinweg. Gelegentlich schnellten Sporenkapseln mit messerscharfen Kanten zu ihnen empor, prallten aber am kinetischen Schild ab. »Hier überlebt nur, wer stark und schlau ist. So verhält es sich auch in der Schattenwelt der Tausend Tiefen. Es unterscheiden sich nur die Mittel.« Esebian staunte über die Schärfe in seinen Worten, und über den tiefen Zynismus, in dem sie wurzelten. Solche Bemerkungen hätte er von Caleb erwartet, und er spürte Gunders Missbilligung. »Wer seinen Weg mit dem Makel beginnt, braucht Stärke und Schläue, um die Hohen Welten zu erreichen.«
    »Ich kenne Sie nicht«, sagte Jacinta nach einer kurzen Pause. »Aber ich habe Lukas gut gekannt. Sehr gut sogar.« Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. »Und ich weiß, wie er über gewisse Dinge dachte. Wir haben es auch ihm zu verdanken, dass sich Aurora in eine bestimmte Richtung entwickelt hat. Weniger Schatten und mehr Licht, Esebian. Darum geht es uns. Wir streben danach, die Illegalität zu verlassen. Und wir wünschen uns mehr Gerechtigkeit für jene, die nicht ganz so stark und schlau sind.«
    »Idealisten, die sich eine bessere Welt erhoffen.« Esebian lachte humorlos, und wieder wunderte sich ein Teil von ihm darüber, wie kalt und zynisch er klang. Stimmte mit seinem mentalen Modus etwas nicht? »Dies ist die Erfahrung meines Lebens: Der Stärkere gewinnt. Wenn Aurora sich aus der Schattenwelt des Direktoriats wagt und versucht, für einen neuen Idealismus zu werben, für Regeln, die nicht mehr von den Magistern bestimmt werden, so werden Sie und Ihresgleichen feststellen, dass Sie plötzlich einem übermächtigen Gegner gegenüberstehen. Dann werden Magister und Erlauchte Ihre Organisation mit der gleichen Erbarmungslosigkeit zerschlagen, die sie bei den Filigran-Kriegen gezeigt haben. Und ich versichere Ihnen, dass in einem solchen Fall nichts von Aurora übrig bleiben wird. In vier- oder fünfhundert Jahren wird sich niemand mehr an Sie erinnern.«
    Einige Sekunden herrschte Stille, abgesehen vom Summen des Gravitationsmotors. Leandra und

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