King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
selbst, dass sie nicht dorthin gehörte.
Wade stieß die Wagentür mit dem Fuß hinter sich zu, schlang seine Arme um Gayle Burdetts Taille und trug sie praktisch in die Wache.
Die Einwohner von Darwin Gardens sahen jeden Tag eine Menge hässlicher Dinge. Junkies, die Crack rauchten und sich Spritzen ins Fleisch rammten. Menschen, die geschlagen, vergewaltigt, niedergestochen und ermordet wurden. Nutten, die in dunklen Hausecken auf die verschiedensten Weisen ihre Freier bedienten. Leichen, die auf Bürgersteigen, in Nebenstraßen und auf zerfallenen Parkplätzen verwesten.
Doch so etwas, wie das, hatten sie noch nie gesehen.
Was natürlich genau der Grund war, warum Tom Wade es ihnen vorgeführt hatte.
VIERUNDZWANZIG
Wade schlief am Sonntagnachmittag in seinem Apartment, als er dadurch geweckt wurde, dass jemand laut gegen seine Tür klopfte. Er lag da und versuchte sich vorzustellen, wer das wohl sein könnte, obwohl es nur als Ausrede dafür diente, noch einen Augenblick liegen zu bleiben. Das Klopfen war kräftig, drängend, autoritär. So klopfte die Polizei.
Billy strahlte diese Autorität nicht aus, noch nicht, und er würde Gayle auch nicht unbeaufsichtigt lassen, um zu Tom heraufzukommen. Charlotte besaß zwar die notwendige Autorität, aber sie hatte keinen Grund, so früh schon auf der Wache zu sein oder derart heftig zu klopfen.
Nein, es war jemand anders.
Die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Lefcourt vielleicht? Das wäre möglich. Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass sie so kräftige Fingerknöchel hatte.
Einen Moment lang dachte er, es könnte auch der Chief sein, doch er bezweifelte, dass Reardon wegen Gayle Burdett nach Darwin Gardens kommen würde, egal, wie viel ihr Mann gespendet hatte. Er würde sich nicht die Finger verbrennen wollen, falls sie tatsächlich für den Mord verantwortlich war.
Wade setzte sich auf. Sein Oberkörper war nackt. Er griff nach seinem Handy, um zu sehen, wie spät es war. Fast 13 Uhr.
»Moment, ich komme«, rief Wade. »Sie brauchen die Tür nicht einzuschlagen.«
In einem Umzugskarton fand er eine Jogginghose, zog sie an, ging zur Tür und öffnete. Draußen stand ein Mann in einem zerknittertenAnzug von der Stange, das Haar in einem unnatürlichen Braun gefärbt. Sein dünner Körper wirkte zusammengerollt, als habe er mal einen Schlag in den Magen bekommen, von dem er sich nie wieder erholt hatte.
Es war Detective Harry Shrake. Mit ihm hatte Wade nicht gerechnet, doch wenn er sich Reardons Optionen vor Augen hielt, erschien es ihm durchaus sinnvoll, dass er Harry geschickt hatte. Er war der perfekte Botschafter für diese Mission. Wade kannte ihn gut und vertraute ihm wahrscheinlich. Außerhalb des Hauptquartiers hatte ihn niemand auf dem Radar und auch innerhalb wurde er kaum wahrgenommen.
»Tag, Harry«, sagte Wade. »Komm rein.«
Das tat Harry und sah sich in dem Apartment um, als sei es ein besonders unangenehmer Tatort. Sein Blick glitt über die ausgeblichenen Wände, die Umzugskartons, die Matratze, die Zeitungen vor dem Fenster, den BH am Boden.
»Nachts arbeiten, tagsüber schlafen. Ganz wie zu unseren Anfängerzeiten«, stellte Harry fest. »Natürlich fällt einem das leichter, wenn man Anfang zwanzig ist.«
Wade sah, dass sogar Harrys Augenbrauen gefärbt waren. Er hatte nie bemerkt, dass Harry eitel war, deswegen ging er davon aus, dass er wahrscheinlich gegenüber den Bürokraten, die für die Beförderungen zuständig waren, einfach jünger und vitaler erscheinen wollte.
Und Harry war erst achtunddreißig.
»Es ist nicht so sehr der Schlafmangel, der mir zu schaffen macht, Harry. Das Dienstkoppel wiegt eine Tonne. Ich habe schon Rückenschmerzen.«
»Und sieh dir doch mal an, wie du hier lebst.« Harry ging zum Fenster, hob eine Ecke der Zeitung an, die davor hing, und spähte hinaus. »Und vor allem wo. Himmel, Tom, wie viel schlimmer kann es noch werden? Warum hast du nicht längst aufgehört?«
»Bist du deswegen hier, Harry? Um mich zu überreden, dass ich verschwinde?«
Harry drehte sich um und sah Wade in die Augen. »Ich bin hier, weil ich die Ermittlungen im Mordfall Glory Littleton übernehme.«
»Mit denen du nichts zu tun haben wolltest, als ich dich wegen der Leiche angerufen habe«, stellte Wade fest. »Gutes Timing, sich den Fall jetzt unter den Nagel zu reißen, wo er gelöst ist. Wird dein Arbeitspensum nicht übermäßig erhöhen.«
»Ich nehme Gayle Burdett mit in die Stadt. Wir werden sie
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