Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Verdacht schöpfte. Sie würden staunen, wie knifflig es ist, gerade so viele Antworten zu verpatzen, daß es echt erscheint. Ich nahm auch richtige Jobs an, aber nachdem ich zugesehen hatte, wie eine halbe Bruderschaft durch meine Kunst zum Jurastudium gekommen war, dachte ich mir, ich könnte es genausogut selbst versuchen.«
»Was machte Ihr Vater, wenn er nicht trank?«
»Bauarbeiter, bis seine Gesundheit ruiniert war. Er starb schließlich an Krebs. Sechs Jahre lang. Üble Geschichte. Mir war es scheißegal, und er wußte es. All diese Schmerzen. Geschah ihm recht«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Meine Mutter starb vier Monate nach ihm. Ich dachte, sie wäre erleichtert, ihn los zu sein. Nichts da, sie war abhängig von den Mißhandlungen.«
»Wieso machen Sie Vermögensrecht? Das sieht Ihnen nicht ähnlich. Ich stelle mir Sie als Strafrechtler vor, so in der Richtung.«
»Hören Sie, mein Vater hat alles verpraßt, was er besaß. Ich hatte zum Schluß nichts - weniger als nichts. Ich brauchte Jahre, um seine Krankenhauskosten und seine verfluchten Schulden abzuzahlen. Ich mußte auch den Tod meiner Mutter tragen, der wenigstens schnell kam, Gott segne sie, aber nicht gerade billig war. Also zeige ich den Leuten jetzt, wie man sogar im Tod noch die Regierung überlistet. Eine Menge meiner Klienten sind tot, deshalb verstehen wir uns sehr gut, und ich sorge dafür, daß ihre habgierigen Erben mehr bekommen, als ihnen zusteht. Außerdem werden Sie als Testamentsvollstrecker pünktlich bezahlt, und niemand ruft Sie wegen Ihrer Rechnung an.«
»Kein schlechtes Geschäft«, sagte ich.
»Ganz und gar nicht«, pflichtete er bei.
»Waren Sie schon mal verheiratet?«
»Nein. Dazu hatte ich nie Zeit. Ich arbeite. Das ist das einzige, was mich interessiert. Mir paßt die Vorstellung nicht, jemand anderem das Recht zu geben, Ansprüche zu stellen. Wofür denn?«
Ich mußte lachen. Ich dachte genauso. Sein Ton war durchweg ironisch, und die Blicke, die er auf mir ruhen ließ, waren merkwürdig sexuell, erfüllt von einer ungewohnten, unwiderstehlichen männlichen Glut, so als wären Geld, Macht und Sexualität für ihn irgendwie alle miteinander verwoben und bedingten sich gegegenseitig. Im Grunde war nichts an ihm offen, spontan oder locker, so freimütig er sich auch gab, aber ich wußte, daß es gerade seine Undurchsichtigkeit war, die mich ansprach. Wußte er, daß ich mich zu ihm hingezogen fühlte? Von seinen Empfindungen für mich ließ er wenig erkennen.
Wir tranken unseren Kaffee aus, er winkte wortlos nach dem Kellner und zahlte die Rechnung. Die Unterhaltung zwischen uns erlahmte ohnehin, und ich ließ es geschehen, war abwartend, ruhig, sogar wieder argwöhnisch ihm gegenüber. Wir gingen durch das Restaurant, unsere Körper nah beieinander, aber unser Verhalten war höflich, rücksichtsvoll. Er hielt mir die Tür auf. Ich trat hindurch. Er war mit keiner Geste auf mich zugegangen, weder verbal noch sonstwie, und ich war plötzlich beunruhigt, seine Anziehungskraft könnte sich als ein Werk meiner Phantasie herausstellen, das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Charlie nahm mich kurz beim Arm und lenkte mich eine flache Stufe hinauf, aber sobald wir auf glattem Asphalt waren, ließ er die Hand sinken. Wir gingen um den Wagen herum auf meine Seite. Er öffnete den Schlag, und ich stieg ein. Ich glaubte nicht, daß ich irgend etwas Kokettes gesagt hatte, und darüber war ich froh, wollte aber immer noch gern wissen, was er mit mir im Sinn hatte. Er war so nüchtern, so distanziert.
Wir fuhren zurück nach Santa Teresa und redeten wenig. Ich fühlte mich wieder zungenlahm, nicht unbehaglich, sondern matt. Als wir uns dem Stadtrand näherten, langte er herüber und nahm so nebenbei meine Hand, Es war, als würde meine linke Körperseite aufgeladen. Er behielt die linke Hand am Steuer. Mit der rechten strich er nachlässig, beiläufig über meine Finger, seine Miene war gleichgültig. Ich versuche so lässig zu sein wie er, versuchte so zu tun, als gäbe es irgendeine andere Möglichkeit, diese schwelenden sexuellen Signale zu deuten, von denen die Luft zwischen uns knisterte und die mir den Mund austrocknen ließen. Was, wenn ich mich irre, dachte ich, was, wenn ich mich auf den Mann stürze wie ein Hund auf einen Knochen und feststellen muß, daß er es nur freundlich oder unpersönlich gemeint hat oder mit dem Kopf woanders ist? Ich konnte an nichts denken, weil es völlig still zwischen uns war,
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