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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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unter fünfundsechzig zu sein, und Wy-nington-Blake mochte Angst gehabt haben, sie könnten zusammenbrechen oder ihre Last in den Gang fallen lassen. Außerdem schien der Karren ein kaputtes Rad zu haben, das dafür sorgte, daß er in Zickzacklinien fuhr, wobei er kräftig quietschte. Wie aus einem eigenen Willen heraus zielte der Sarg erst auf die eine Seite mit Stühlen, dann auf die andere. Ich konnte sehen, wie sich die Sargträger bemühten, ihre Trauermienen beizubehalten, während sie versuchten, den Kurs zu korrigieren und den Sarg wie einen bockigen Hund durch den Mittelgang der Kirche zu zerren.
    Ich erhaschte einen kurzen Blick auf Tony Gahan, aber er war wieder verschwunden, bevor ich mit ihm reden konnte. Der Leichenwagen hielt vor der Kirche, und der Sarg wurde die wenigen Stufen hinuntertransportiert und in den Wagen geschoben. Dahinter hielt eine Limousine, und man half Essie auf den Rücksitz. Sie trug ein schwarzes Kostüm und einen breitkrempigen schwarzen Strohhut, der mit einem dichten Schleier versehen war. Sie sah eher wie ein Imker als wie irgend etwas sonst aus. Vom Heiligen Geist gestochen, dachte ich. Barbara Daggett trug ein anthrazitfarbenes Kostüm und schwarze Schuhe, ihre zweifarbigen Augen wirkten in dem bleichen Oval ihres Gesichts fast elektrisch. Der Regen fiel stetig, und Mr. Sharonson verteilte große, schwarze Schirme, als die Leute von der Veranda zum Parkplatz eilten.
    Autos wurden gleichzeitig unter Wolken von Abgasen angelassen, Kieselsteine flogen auf, als wir auf die Straße hinaus und in langsamer Prozession zu dem etwa zwei Meilen entfernten Friedhof fuhren. Wieder parkten wir in langer Reihe, Autotüren knallten, und wir überquerten nasses Gras. Scheinbar handelte es sich um einen ziemlich neuen Friedhof mit nur wenigen Bäumen — ein geräumiges, flaches Feld. Die Grabsteine waren eckig und niedrig gehalten, ohne die verwitterte Schönheit alter Steinengel oder Granitlämmer. Der Boden war gepflegt, bestand aber hauptsächlich aus Asphaltwegen, die sich zwischen den verschiedenen Sektionen von Grabstätten entlangwanden, die scheinbar »für späteren Bedarf« verkauft worden waren. Ich fragte mich, ob Friedhöfe ebenso wie Golfparcours von Experten auf ihren größtmöglichen ästhetischen Effekt hin geplant wurden. Dieser hier kam mir vor wie ein billiger Club auf dem Land, niedrige Mitgliedergebühren für die künftigen Toten. Die Reichen und Respektablen wurden anderswo begraben, und John Daggett konnte keine Referenzen aufweisen, um dort aufgenommen zu werden.
    Wynington-Blake hatte einen Baldachin über dem Grab selbst und einen zweiten, größeren, mit Klappstühlen darunter, daneben aufgebaut. Niemand schien zu wissen, wer wohin gehen sollte, und es gab ein ziemliches Durcheinander. Essie und Barbara Daggett wurden in das große Zelt geführt und in der ersten Reihe plaziert, mit Eugene Nickerson auf einer und einer fetten Frau auf der anderen Seite auf einer Reihe von vier Klappstühlen, die an den Beinen miteinander verbunden waren. Die hinteren Stuhlbeine hatten schon angefangen, in die aufgeweichte Erde zu sinken, so daß die vier leicht nach hinten geneigt saßen. Ich hatte eine flüchtige Vision von ihnen, wie sie festsaßen, mit baumelnden Beinen zur Zeltdecke emporstarrten, unfähig, sich wieder aufzurichten. Warum liegen Kummer und Absurdität immer so nah beieinander?
    Ich rückte zu einer Seite hinüber, unter den Regenschutz, blieb aber stehen. Die meisten Trauergäste schienen schon älter zu sein und benötigten die Klappstühle (vielleicht) dringender als ich. Es sah fast so aus, als wäre die gesamte Kirchengemeinde ausgerückt, um Essie Daggett beizustehen.
    Pastor Bowen hatte einen Regenmantel abgelehnt und stand jetzt im Freien. Regen sammelte sich auf seinem kahl werdenden Kopf, als er geduldig darauf wartete, daß sich alle ihren Platz suchten. Aus dieser Entfernung konnte ich das Hörgerät sehen, das sich in der winzigen Muschel seines rechten Ohrs befand. Er fummelte an dem Gerät herum und bemühte sich dabei um einen würdevollen, gütigen Ausdruck, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken. Ich fragte mich, ob durch die Feuchtigkeit die Batterie versagt hatte. Ich konnte sehen, wie er mit dem Zeigefinger dagegen klopfte und wie er dann zusammenzuckte, als wäre sie plötzlich lautstark zu neuem Leben erwacht.
    Am anderen Ende des Zeltes sah ich Marilyn und Wayne Smith, und hinter ihnen Tony Gahan in Begleitung seiner

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