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Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Titel: Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožić
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für sein Leben entschieden. Es war ihr gelungen, Ilja aus ihrem Kopf zu entfernen und nur an das Kind zu denken. Da hatte sie gespürt, dass sie es behalten musste, obwohl Ilja längst wieder und dieses Mal für immer nach Bakersfield zurückgegangen war. Er wusste nichts von Ezra und hätte ihr, davon ist Nadeshda überzeugt, zu allem geraten, nur nicht dazu, das Kind zu behalten.
    Jeden Nachmittag ging ich mit Ezra spazieren. Wenn Nadeshda noch an ihren Büchern schrieb oder Termine in anderen Städten hatte, kümmerte ich mich um den Jungen. Manchmal fuhren wir zur Krummen Lanke, aßen Eis und Fritten am See, das Wasser schimmerte nur so vor lauter Libellenflügel. Es überraschte mich, dass sie Ezra Angst machten. Er spielte gerne mit anderen Kindern, oft blieben wir draußen, bis der Saum der ersten Dunkelheit heraufzog. Dann machten wir uns auf den Weg nach Hause, wo Nadeshda bereits wartete. Ich lieferte den Jungen ab, ließ die beiden allein, und ging noch etwas trinken. Dann wartete ich auf das Herabdrängen der Nacht, die sich an den warmen Tagen wie ein weicher Samtüberwurf auf alles legte. Und wenn ich auf diesen Spaziergängen an Arik dachte, wurde der Nachtsamt pelzig. Meine Haut juckte, und ich eilte wieder nach Hause zurück, bewegte mich mit hastigen Schritten, als ob mir das Dach über dem Kopf einen anderen Schutz in der Welt bieten und mich vor meiner Vergangenheit retten könnte. Ich habe Nadeshda damals nichts von der Sache im Krankenhaus erzählt. Als wir in Berlin darüber sprachen, sagte sie, das hätte alles für sie geändert.
    Obwohl ich Arik nach jenem Vorfall nicht mehr über den Weg traute, wollte ich ihn dennoch sehen, ich wollte sein Gesicht anschauen, wenn ich ihm erzählte, was im Krankenhaus geschehen war. Ich glaube, ich hoffte in jenem Augenblick auf ein Wunder, eine Metamorphose. Aber Ariks Gesicht blieb reglos. Wir saßen in seiner Küche an der Place Dauphine und blickten auf die Seine hinunter. Er stand auf, ging zur Anrichte, öffnete die obere Schublade, nahm einen Umschlag heraus und überreichte ihn mir. Was ist das?, fragte ich. Das ist Geld, sagte er. Was soll ich mit Geld? Nimm es, sagte er, es sind dreitausend Francs. Es wird dir bald wieder gut gehen. Ich sah auf den Briefumschlag. Arik strich mir übers Haar. Es tut mir leid, dass du das erlebt hast, sagte er, mit leiser Stimme, wie konnte das geschehen, ich habe immer geglaubt, es sei alles in Ordnung. Ich sah auf den Boden. Er küsste mich auf die Stirn, sagte, dass er mich vermisst habe, warum ich nicht früher gekommen sei und ihn nicht aus dem Krankenhaus angerufen hätte. Ich sah ihn an, kein Wort kam mir über die trockenen Lippen. Wir umarmten uns, legten uns auf den Boden. Die Sonne schien auf unsere Körper. Er strich mir immer wieder über den Kopf, ganz lange und zärtlich, als sei mein Kopf der Grund für meine Einlieferung ins Krankenhaus gewesen. Bald schliefen wir ein. Als wir aufwachten, hatte er es zum ersten Mal nicht eilig, wieder zu seinen Fotos und Bildern zurückzukehren. Arik wollte, dass ich bleibe. Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben. Du könntest bei mir bleiben, wiederholte er, ein paar Wochen oder solange, wie du magst. Ich pflege dich. Und ich mache Tee für dich. Und Suppe. Wir lachten. Und ich blieb ein paar Wochen bei Arik. Ich verstand nicht, dass es falsch war, ich wollte bleiben, um alles mit ihm zu erleben. Arik sagte, beim nächsten Mal werden wir das Kind behalten. Irgendwann verschwand er aufs Land. Manchmal übernachtete er bei einem Verwandten in der Nähe von Versailles, rief von dort an, fragte, ob alles in Ordnung sei, ob ich genug von allem hätte, Milch, Butter, Brot. Ich sagte, ja, ja, alles da, mach dir keine Sorgen. Schließlich kehrte ich zu Hiromi und Nadeshda zurück. Und versuchte, ohne Arik auszukommen, wenigstens in Gedanken. Aber je mehr ich meine Loslösung von ihm ersehnte, desto stärker wuchs in mir der Wunsch, ihn zu berühren, besonders dann, wenn ich an seine Hände dachte. Meine Sehnsucht war ein selbsttätiger Magnet, sie zwang mich, zu ihm zurückzukehren. Jedes Mal bereute ich es dann, dass ich nachgab und mich mit ihm traf, seine Anrufe annahm, wieder bei ihm übernachtete, nur um am nächsten Morgen wie ein Kind fortgeschickt zu werden, damit er keine Zeit verlor und in sein Atelier gehen konnte. Wenn ich einige Tage blieb, flüchtete er aufs Land, um dort zu malen. Das Erschreckende an Arik waren aber nicht seine Handlungen, es war die

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