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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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Lily kräuselte misstrauisch die rechte Seite der Stirn. Noch so ein Phil-ismus.
    Die Umkehrung ihrer Rollen war jetzt so vollständig, dass Anais sie nicht mehr infrage stellte. »Ich bin eingeschlafen.«
    »Eingeschlafen.«
    »Ja.«
    »In der Ruine? Im Dreck?«
    »In meinem alten Zimmer.«
    »Allein?«
    »Lily!«
    »Was?«
    »Jetzt ist mal gut. Ich bin   –«
    »Erwachsen? Warum benimmst du dich dann zur Abwechslung nicht mal so?« Lily ließ sich rückwärts auf ihr Bett sinken, schlug die Beine zum Schneidersitz unter und sah ihre Mutter vorwurfsvoll an. »Ich hab mir Sorgen gemacht! Richtige Sorgen! Nicht nur so ein bisschen, sondern   –«
    »Tut mir leid, wirklich. Ich hätte ja angerufen, aber ich«   – sie zögerte eine Sekunde zu lange   – »ich hab mein Handy verloren.«
    Lily starrte sie mit offenem Mund an. »Das ist die allerbescheuertste Ausrede!«
    »Aber das Ding ist weg.« Sie hob die Hände, als wollte sie Lily gestatten, sie abzuklopfen.
    »Was ist denn mit deiner Uhr?« Lily beugte sich vor, um besser hinsehen zu können. »Ist das auch beim Einschlafen passiert?«
    Anais ließ seufzend die Arme sinken. »Hör mal, wenn das geschehen wäre, was du glaubst, dann würde ich es dir erzählen. Okay?«
    »Klar doch.«
    »Ich bin dreiunddreißig. Ich darf Sex haben, wann und mit wem ich will. Deshalb würde ich nicht lügen.«
    Lily schluckte, fing sich aber gleich wieder. » So genau will ich das gar nicht wissen!«
    »Was dann? Du löcherst mich schlimmer, als mein Vater das je getan hat.« Das war die nächste Lüge.
    »Mir egal, was du gemacht hast, bis   … bis das da passiert ist.« Lily deutete auf Anais’ schmutzige Kleidung. »Den Rest kannst du für dich behalten. Kein Mensch will was über Alte-Leute-Sex hören, also ehrlich! Aber du siehst aus, als wärst du von ’nem Lastwagen überfahren worden. Oder von fünf.«
    Anais holte tief Luft, dann sagte sie ruhig: »Ich war am Tunnel.«
    »Fuck«, flüsterte Lily. »Am oder im ?«
    »Sieht man mir an, hm?«
    »Du bist da reingegangen? Mit diesem   … wie auch immer   … zusammen?«
    »Nein. Allein.«
    »Super Idee.«
    »Geht so.«
    Lily rückte nah an die Kante und nahm Anais’ Hände. Ihre Miene verriet jetzt ein Mitgefühl, das aus dem vorlauten Mädchen fast eine Erwachsene machte. »Was ist da oben passiert?«
    »Ich bin hingefallen. Zweimal. Im Dunkeln.«
    »Und dann zum Haus gegangen?« Wieder regte sich Argwohn in Lilys Stimme, aber nur ganz leise.
    Anais nickte. »Und ich hab keine Ahnung, warum.« Während sie das sagte, wusste sie schon, dass sie besser den Mund gehalten hätte. Schlimm genug, dass Phil der Meinung war, sie sei nicht ganz zurechnungsfähig. Es war überflüssig, diesen Eindruck auch noch ihrer Tochter zu vermitteln. »Entschuldige, ich sollte dich mit diesem Mist in Ruhe lassen.«
    »Blödsinn.«
    »Du bist vierzehn. Ich dreiunddreißig. Wer sollte hier wohl die Vernünftige sein?«
    »Dad kauft bei eBay Superheldenfiguren und uralte Game-Konsolen. Aus den Neunzigern ! Hast du eine Ahnung, wie oft ich in meinem Leben schon die Vernünftigere war?«
    Anais lächelte. »Sobald wir hier weg sind, bin ich wieder in Ordnung. Versprochen. Und wir hauen so schnell wie möglich ab. Ich muss heute noch mit diesem Kommissar reden und im Heim irgendwelchen Papierkram unterschreiben, und dann fahren wir. Spätestens morgen nach dem Frühstück. Wollen wir heute Abend noch ’ne Pizza essen gehen?«
    »Gibt’s auch Sushi?«
    »In Klammroth?«
    »Dann McDonald’s. Das gibt’s. Haben mir jedenfalls welche erzählt, als ich draußen war.«
    »Klar, wenn du willst, gehen wir dahin.« Sie war froh, dass sie ein neues Thema hatten, und fragte: »Mit wem hast du denn gesprochen?«
    »Nur ’n paar Leute. Ungefähr so alt wie ich.«
    Anais hätte sich darüber freuen müssen, dass Lily kontaktfreudiger war als sie selbst, aber insgeheim war es ihr nicht recht. Nicht hier in Klammroth.
    »Lily?«
    »Hm?«
    »Ich bin froh, dass du bei mir bist. Ich meine, richtig froh.«
    Lily grinste. »Weil ich jetzt deine Klamotten waschen muss?«
    »Jemand muss es ja tun.«
    Mit einem Quietschen packte Lily das Kopfkissen und warf es Anais ins Gesicht.

21
    »Wollen wir irgendwo einen Kaffee trinken?«
    Kommissar Jan Herzog sah müde aus. Sein gewelltes Haar war zerrauft, als würde er zu oft mit den Händen hindurchfahren   – nachdenklich, verlegen oder beides. Seine Bartstoppeln waren mindestens eine Woche alt, aber womöglich

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