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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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vermochte sie das bei Tageslicht nicht mehr zu sagen. Letztlich spielte es auch keine Rolle. Ihr waren die flatternden Finger im Dunkeln so real vorgekommen wie jetzt dieernste Miene des Kommissars, während er sie aufforderte, ihr zu folgen. Es gefiel ihr nicht, dass er so selbstverständlich auf das Portal zuhielt. Die Vorstellung, zwischen die Schattenzähne der Giebel zu treten, jagte ihr genug Furcht ein, um im Regen innezuhalten.
    Wegen seiner Kapuze bemerkte Herzog es erst nach mehreren Schritten. »Stimmt was nicht?«
    Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Was genau tun wir hier?«
    »Wir unterhalten uns.«
    »Warum hier?«
    »Warum nicht?«
    Er kam zu ihr zurück und reichte ihr seine Hand. Eine ungewöhnliche Geste für einen Polizisten. Ihr fiel ein, dass sie nicht mal seinen Ausweis gesehen hatte.
    Sie schlug das Angebot aus, setzte sich aber wieder in Bewegung. Er blieb einen Schritt hinter ihr, während sie die Steinstufen zum Portal hinaufstiegen.
    Die Tür war nur angelehnt. Das Schloss war aufgebrochen worden, wahrscheinlich schon vor langer Zeit. Auf dem Boden lag eine verrostete Kette mit Vorhängeschloss. Möglicherweise hatte Theodora sie dort liegen lassen, als sie diesen Ort nur wenige Stunden vor ihrem Flammentod aufgesucht hatte.
    Anais fror, und ihr ganzer Körper kribbelte. Nur der Regen, sagte sie sich. Der Regen und gestern Nacht und diese verdammte Ungewissheit über das, was sie wirklich gesehen und gespürt hatte.
    Herzog stieß die hohe Tür auf. Nach kurzem Zögern trat Anais hinter ihm ins Trockene. In der ehemaligen Eingangshalle zog es erbärmlich, aber wenigstens der Regen blieb draußen zurück.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass es hier noch Möbel gibt«, sagte sie.
    Zerbrochene Stühle, Kommoden aus aufgequollenem Holz, ein halb verbrannter Vorhang. Der Belag auf den Stufen einer breiten Treppe zum ersten Stock war so dick verpilzt, dass der Schimmel selbst wie graugrüner Teppich aussah.
    »Die besseren sind schon vor Jahren gestohlen worden«, sagte Herzog. »Sie könnten eine ganze Reihe davon bei den Antiquitätenhändlern in der Umgebung finden. Nachdem von Stille in das Institut Ihrer Stiefmutter gezogen ist, ist hier unzählige Male eingebrochen worden. Es gab keinen Verwalter, nichts dergleichen. Der alte von Stille hat den Kasten einfach vermodern lassen. Möglich, dass er in seinem Zustand andere Sorgen hatte. Und es ist ja nicht so, als ob das Haus vorher besonders gut in Schuss gewesen wäre. Haben Sie den zerstörten Flügel ganz am Ende gesehen?«
    Sie nickte.
    »Das war eine Fliegerbombe im Zweiten Weltkrieg. Anscheinend hat er nur die Türen dorthin verriegelt und die Trümmer sich selbst überlassen.«
    Anais konnte es ihm nicht verübeln. Am liebsten hätte sie es mit ihrem niedergebrannten Elternhaus genauso gemacht. »Und was nun?«
    Es roch intensiv nach Moder, nassem Verputz und etwas Scharfem, das sie an Batteriesäure erinnerte. Vielleicht Vogelkot. Sie dachte an die Taubenschwärme auf den Dächern und stellte sich vor, wie sie die Zimmer und Flure des Stillen Hauses in Besitz genommen hatten.
    Herzog durchquerte das Foyer. »Gehen wir ein Stück.«
    Sie hielt sich an ihrem lauwarmen Kaffeebecher fest und hatte den Eindruck, dass der Boden unter ihr wegrutschtewie ein loses Schneebrett. Sie wollte nicht hier sein, und Herzog hatte keine rechtliche Handhabe, um sie zu einem Rundgang durch das Stille Haus zu zwingen.
    »Bitte«, sagte er und schenkte ihr abermals ein Lächeln.
    Das Lawinengefühl verstärkte sich, als wollte der Boden sie in eine bestimmte Richtung tragen. Ein Drängen und Locken, tiefer ins Stille Haus hinein.
    Der Kaffeebecher rutschte aus ihrer Hand. Es gelang ihr gerade noch, ihn mit der Linken aufzufangen.
    »Gute Reflexe«, sagte Herzog.
    Sie hörte ihn kaum, spürte nur den Magnetismus dieses Ortes, der sie jetzt ganz in ihren Bann schlug. Ihr Magen rebellierte. Ihre Blase fühlte sich so voll an, als hätte sie zehn Becher Kaffee getrunken.
    Langsam setzte sie sich in Bewegung, fort von der offenen Haustür und dem grauen Regenvorhang. Mit Bewegungen, die ihr mechanisch, fast willenlos vorkamen, ging sie durch die Halle auf Herzog zu.
    Er wartete, bis sie fast bei ihm war, dann drehte er sich um, ging zwei Schritte vor ihr her und führte sie tiefer hinein ins Stille Haus.

22
    Eine Weile lang wanderten sie durch das verlassene Erdgeschoss, durch Säle, in denen die Farbe von den Wänden geblättert war, und entlang zugiger Flure,

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