Klammroth: Roman (German Edition)
flimmern, und er bekam Kopfschmerzen davon.
Im Türrahmen blieb er stehen. Spähte in das blutrote Halblicht. Es kam von links und stammte von einer Lampe, die oberhalb einer weiteren Tür angebracht war. Erst jetzterkannte er den Raum, in dem er sich befand. Es war das Vorzimmer mit den drei Plastikstühlen. Die Tür mit der roten Lampe war die Schleuse, durch die sein Vater geschoben worden war. Gegenüber entdeckte er den Aufzug, der hinauf in die Eingangshalle der Klinik führte.
Immer, wenn er hier gewesen war, waren die Röhren unter der Decke eingeschaltet gewesen. Die rote Warnleuchte war vom Neonlicht überstrahlt worden.
Dass sie leuchtete, mochte bedeuten, dass sich jemand in den Behandlungsräumen hinter der Schleuse aufhielt. Ein nächtlicher Notfall? Sicher hätte man dann das Licht im Vorzimmer eingeschaltet. Wahrscheinlicher war, dass die Warnlampe dauerhaft brannte, um auf den sterilen Bereich aufmerksam zu machen.
Langsam ging Erik darauf zu. Sein ganzer Körper stand unter Spannung. Er hatte so oft zugesehen, wie Anais’ Stiefmutter den vierstelligen Zahlencode in das Tastenfeld neben der Schleuse eingegeben hatte, dass er ihn im Schlaf hätte aufsagen können.
Seine Fingerspitze kribbelte, als er die Zahlen eintippte. Mit einem mechanischen Schnaufen glitten die Hälften der Schiebetür auseinander. Dahinter schalteten sich Neonröhren ein und beschienen einen kurzen Gang, an dessen Ende eine identische Tür lag, diesmal ohne Zahlenfeld.
Er war nicht sicher, was er erwartet hatte. Möglicherweise eine dieser Schleusen wie in Filmen, in denen man von desinfizierenden Dämpfen eingenebelt wurde. Aber nichts dergleichen geschah, nur die Schiebetür schloss sich hinter ihm.
Mit leichten Magenkrämpfen legte er die fünf Meter bis zum gegenüberliegenden Durchgang zurück. Er spürte keine Veränderung der Temperatur oder Luftfeuchtigkeit.
Ein einzelner Knopf befand sich neben der Tür. Erik legte die Hand darauf, hielt kurz inne, dann drückte er ihn. Die Schiebetür öffnete sich. Auch dahinter erwachten Neonröhren zum Leben.
Der Raum war vollständig mit weißen Fliesen gekachelt, einschließlich Boden und Decke. Ihm wurde ein wenig schwindlig. Sein Puls pochte immer schneller, und in seinen Ohren schwoll ein Pfeifen an. Ein paar Sekunden lang stand er reglos da und musste sich überwinden, endlich die Füße zu heben und den Raum zu betreten.
Als er über die Schiene der Schiebetür trat, flossen die Kacheln in seiner verschwommenen Sicht ineinander. Er schwankte und konnte sich nirgends abstützen, weil der Raum völlig leer war. Keine Maschinen oder Instrumente, nicht einmal eine Liege. Es gab nur die Tür in seinem Rücken und darüber ein Lüftungsgitter. Auch das Wummern, das ihn durch den Keller begleitet hatte, war verstummt. Allein sein Herzschlag hämmerte in seinem Schädel.
Abwaschbare Wände. Ein Abfluss in der Mitte des Bodens, als würden die Fliesen häufig mit einem Schlauch abgespritzt.
Panik überkam ihn. Es war wie vor einigen Monaten im Kino, als während der Vorstellung aufgrund eines Defekts das Licht angegangen war und er festgestellt hatte, dass er der einzige Erwachsene im Saal war. Alle anderen waren Jugendliche. Er war in seinem Sitz zusammengesunken, unfähig, sich zu bewegen, und als die Vorstellung weitergegangen war, hatte er nur an all die Jungen und Mädchen um ihn im Dunkeln denken können. Augen, die ihn beobachteten. Finger, die auf ihn zeigten. Und rückten sie nicht näher, sobald er zur Leinwand sah?
»Bleibt mir vom Hals«, flüsterte er nun, doch da war keiner. Selbst die Schiebetür hinter ihm musste noch offen sein; er hatte nicht gehört, dass sie sich geschlossen hatte.
Diese Leere.
Auf welche Weise wurden die Patienten hier behandelt? Und womit? Er hatte nie gesehen, dass irgendwelche Apparaturen mit seinem Vater hereingebracht worden waren. Und wurden Temperatur und Luftfeuchtigkeit über Nacht heruntergefahren? Außerdem war da draußen keine echte Schleuse. Nur ein Gang mit zwei Schiebetüren.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass die vordere – die zum Vorraum – von innen mit einer Art Polster überzogen war. Schallisolierung. Hatte Erik deshalb während all der Stunden im Wartebereich nie einen Laut aus diesem Raum vernommen?
Was zum Teufel hatten sie hier mit seinem Vater getrieben, wenn sie ihn nicht behandelt hatten? Und wie viele andere Patienten wurden regelmäßig hergebracht? Er wusste von Nele Teusner, aber es mochte
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