Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Straße vor der Villa Großmann. In diese Gegend verirrte sich sonst kaum ein fremdes Fahrzeug, ein alter Mazda schon gar nicht. Und Verkehrsunfälle hatte es hier auch noch nicht gegeben; jedenfalls erinnerte sich niemand daran. Der Mazda stand schräg auf der Straße, mit den Vorderrädern schon auf der Gegenfahrbahn. Er hatte ein Fahrrad überrollt. Der Fahrer, ein junger Mann, der Wolfram Krefeld ähnlich sah, war ausgestiegen und kniete sprachlos neben einer Frau, die zerschunden und zerzaust auf der Straße lag. Rock und Bluse waren zerrissen. Als sie mühsam ihren Kopf hob, sah der junge Mann, wie verschmiert ihre rechte Gesichtshälfte war. Er hob sie auf und führte sie zu der Villa. Auf sein Klingeln erschien Frau Stenzel und öffnete. Als sie die verletzte junge Frau sah, verlor sie vor Schreck den Staubwedel aus der Hand und rief: »Um Gottes Willen, kommen Sie herein, wir holen sofort einen Arzt und verbinden kann ich Sie auch, das mache ich gleich ganz schnell.«
»Nein, nein, keinen Arzt«, wehrte die Verletzte heftig ab, »wenn mein Mann erfährt, wo ich gestürzt bin, ist der Teufel los. Es muss ohne Arzt gehen. Wenn ich mich nur ein bisschen waschen dürfte.«
Trotz der Aufregung um die Verletzte bewahrte Frau Stenzel sich einen Blick für den amourösen Aspekt dieses Unfalls, denn den hatte sie sofort entdeckt. Sie beherrschte wie viele Frauen die Kunst, zwei verschiedene Ereignisse getrennt wahrzunehmen und gleichzeitig zu verarbeiten. Hilfe für die Frau, die offensichtlich mit knapper Not dem Tod entkommen war, Verbandszeug holen, die verstörte Person weich auf ein Sofa betten und ihr beruhigend zureden: Das steuerte das eine Hirnareal ohne ihr Zutun. Die Analyse der Frau, die ihren Ehemann hinterging, und die Frage, ob der junge Mann in dem Auto, der sie überfahren hatte, nicht auch ihr Liebhaber war, wurde gleichzeitig in einer anderen Neuronenecke untersucht. Wenn hier ein Ehemann betrogen wurde, dann war, so folgerte Frau Stenzel, keinesfalls dieses junge Ding verantwortlich. Sie war viel zu schön, um schuldig zu sein. Und auch nicht der Liebhaber, denn das war ein richtig hübscher Bursche. Folglich musste der Unfall geheim bleiben, denn als einziger konnte der Ehemann seine Unschuld nicht nachweisen. Somit hatte er und nicht sie die Strafe verdient, und der junge Mann auch nicht, der so zärtlich den Kopf der armen Verletzten hielt. Das war logisch und sonnenklar. Darüber musste sie nicht erst nachdenken.
Frau Stenzel wollte im Gesicht des jungen Mann lesen, ob er, wie sie vermutete, tatsächlich der Liebhaber der hübschen Frau war, aber sie sah ihn nicht. Er hatte unbemerkt das Zimmer verlassen, im Flur die Hausschlüssel vom Haken genommen und die Profile in eine Knetmasse gedrückt. In wenigen Augenblicken war er damit fertig. Er hatte das schließlich lange genug geübt. Auf dem Weg zurück zu den beiden Frauen merkte er sich noch rasch den Typ der Alarmanlage.
Als die junge Frau einigermaßen wiederhergestellt war, bedankte sie sich bei Frau Stenzel herzlich durch Küsschen rechts und Küsschen links und durch einhundert Euro, weil sie so lieb sein würde, niemandem etwas zu verraten. Es sei noch nie vorgekommen, sie mit ihrem ... sie sagte >Freund<, auf zweifelhaften Pfaden … nein, wirklich nicht. Wörtlich so drückte sie sich aus. Und es kam bei Frau Stenzel auch genau so an. Nie wieder wollte sie es tun, sagte die junge Frau, der Unfall sei ihr eine Lehre für das ganze Leben. Nie wieder, wiederholte sie, und sie schwor es. Und der junge Mann war auch großherzig; er versprach, das arme Opfer jetzt gleich nach Hause zu bringen, und dann wäre hoffentlich alles wieder in Ordnung.
Julia, alias Ingrid, und Wolfram saßen kaum in dem alten Mazda, als Julia über ihr Handy bei Gripsalarm den gleichen Typ Anlage bestellte, den Großmann in seiner Villa hatte installieren lassen. Wolfram holte die Geräte sofort ab und las sich die Bedienungsanleitung durch. Die Anlage konnte nur mit der richtigen Geheimnummer unscharf geschaltet werden. Welche Nummer Großmann eingegeben hatte, wusste Wolfram freilich nicht, aber er konnte die Weitergabe des Alarms verhindern. Bei einem Einbruch rief die Anlage automatisch in der Werft und bei einem Wachdienst an. Wenn er die Telefonleitung kappen würde, käme der Ruf nirgendwo an, aber der Wachdienst würde eine Störungsmeldung empfangen. Aus der Entfernung von der Villa zu dem Wachdienst schätzte Wolfram die Zeit, die ihnen bliebe, auf
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