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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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konnte die Patienten an der Tür abfertigen und erledigte alle Arbeiten im Hause ausgezeichnet, so daß Sylvia eine Menge Freizeit hatte.
    Sylvia war von der Aussicht, Faraday und Tessa Brindley miteinander bekannt zu machen, entzückt. Nicht nur, weil sie wie alle Jungverheirateten bestrebt war, alle ihre Bekannten ebenfalls glücklich verheiratet zu sehen, sondern ebenso wegen Emily. Wir wollten unsere erste Einladung zum Abendessen so bald wie möglich nach meiner Rückkehr von Edinburgh geben, und dabei sollte Emily bei Tisch aufwarten. Da sie bisher einen sehr formellen Haushalt gewohnt gewesen war, wie Sylvia annahm, schien sie bei uns ihr Licht unter den Scheffel stellen zu müssen. Auf einer Abendgesellschaft würde sie sicher glänzen.
    Was mich anbetraf, so bekam ich bei ihrem Anblick eine Gänsehaut. Ich bin sicher, daß ich für sie ein Dorn in ihrem Fleisch war. Wie ein lila aufgezäumtes Gespenst schlich sie mit ihren weich besohlten Schuhen um mich herum und sah mich ewig anklagend an, weil ich meine Handschuhe auf dem Tisch in der Diele liegenließ oder meinen Mantel über das Geländer hängte. Mit Märtyrermiene reichte sie mir mein Hörrohr, das ich auf dem Kaminsims im Wohnzimmer vergessen hatte, und unterrichtete mich unnötigerweise, daß »die Frau« fort sei, um »einige Wege« zu besorgen und »ganz bald« zurück sein würde. Es dauerte nicht lange, bis ich mich nach der Bescheidenheit von Bridget zurücksehnte - trotz der verbrannten Toasts, der Lockenwickler und allem anderen.
    Als Emily überschnappte, geschah es in einer Weise, die keiner von uns erwartet hatte.
    Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie eines Tages mit den silbernen Löffeln verschwunden wäre oder sich über meine Whiskyflasche hergemacht hätte; ihre ehrenwerte Art kam mir immer gefälscht vor. Aber sie tat nichts dergleichen. Vielmehr erschien sie eines Morgens, während wir frühstückten, mit glänzenden Augen in dem wie immer ausdruckslosen Gesicht und sagte mit stählerner Stimme: »Ich hätte gern ein Wort mit der Frau gesprochen.«
    Da »die Frau« keinen Meter von ihr entfernt saß und ihren Toast aß, wußte ich nicht, auf was sie noch wartete. Ich sagte ihr, daß sie beginnen möchte.
    Indem sie Sylvia mit einem Blick voller Haß anstarrte, sagte sie: »Ich hatte wirklich gedacht, in ein Doktorhaus zu kommen, in ’nen wirklichen Herrschaftsdienst. Wenn ich nur ’nen Moment geahnt hätte, daß die Frau sich zu so was herablassen würde, hätte ich nie im Leben den Posten angenommen.« Sie zitterte vor Empörung.
    »Was heißt das, Emily?« fragte ich, stand auf und stellte mich dicht neben Sylvia, da ich fürchtete, daß Emily sie schlagen würde. »Was soll das bedeuten?«
    Sie gab mir einen ihrer anklagenden Blicke, als wenn ich das wissen müßte. »Wegen des Juckpulvers, Sir. In meinem Bett, in meinen Kleidern, in allem, was ich besitze. Fragen Sie die Frau, es gibt kein Stück, das sie ausgelassen hat.«
    »Emily«, sagte Sylvia, »was erzählen Sie da? Ich bin nicht einmal in die Nähe Ihres Zimmers gekommen.«
    »Tut mir leid, Frau, aber man kann’s ’ne Meile weit riechen. Riechen Sie!« befahl sie und hielt mir ihre Schürze unter die Nase. Ich konnte nichts riechen.
    »Kommen Sie mit nach oben, Emily«, sagte ich, »dann können Sie mir zeigen, was los ist.«
    In ihrem Zimmer schien alles in Ordnung zu sein, abgesehen davon, daß sie all ihre Besitztümer in ihre zwei Koffer gepackt hatte, die auf dem Bett lagen.
    »Wollen Sie uns verlassen, Emily?« fragte ich.
    »O nein, Sir. Aber ich kann doch nichts draußen lassen, nicht mal mein Nachthemd. Stellen Sie sich vor, wenn die Frau wieder mit dem Juckpulver ’reinkommt. Riechen Sie’s denn nicht, Sir? Es ist doch überall.«
    Ich ging im Zimmer herum und schnüffelte an den Kleidern in ihren Koffern. Da gab es nichts zu riechen. »Emily«, erklärte ich ernst, »das bilden Sie sich alles nur ein. Da ist nirgends Juckpulver, und niemand hat Ihre Kleider angerührt. Ich glaube, Sie packen jetzt Ihre Sachen aus und gehen an die Arbeit.«
    Emily schüttelte ihren Kopf. »Ich kann hier nicht ’rausgehen, nicht mit all den Sachen hier drin. Was soll das geben, wenn die Frau wieder hier ’raufkommt?« Es war schon nach neun Uhr, und ich hätte meine Sprechstunde bereits vor zehn Minuten beginnen müssen. Ich konnte keine Zeit mehr mit Streiten verlieren. »Nun gut, Emily, bleiben Sie hier. Wir werden dann miteinander sprechen, wenn ich meine

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