Knochenbruch
Pferde.
»Wirf mich rauf«, befahl sie Alessandro barsch; denn Lucky Lindsay hatte es wie die meisten Vollblüter nicht gern, wenn die Reiter auf ihn hinaufkletterten, um in den Sattel zu gelangen.
Einen Augenblick dachte ich, das ganze Theater fliege auf. Alessandro richtete sich zu seiner vollen Größe auf, so daß er Etty um mindestens fünf Zentimeter überragte, und schleuderte ihr einen Blick zu, der sie hätte einäschern müssen. Etty bemerkte es nicht; wirklich nicht.
»Na, komm schon«, sagte sie ungeduldig und streckte ihr Bein im Knie gebeugt nach hinten.
Alessandro warf einen verzweifelten Blick in meine Richtung, holte dann sichtbar tief Luft, schlang sich Indigos Zügel um den Arm und legte seine beiden Hände unter Ettys Fuß. Er machte sich ganz gut, obwohl ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn dies das erste Mal in seinem Leben war, daß er jemandem aufs Pferd half.
Ich vermied es sorgsam, zu lachen, zu grinsen oder sonst irgendwie zu zeigen, daß ich an der Situation irgend etwas Bemerkenswertes fand. Alessandro schluckte seine Kapitulation ohne zu mucksen hinunter. Aber es deutete nichts darauf hin, daß das ein Dauerzustand sein würde.
Wir ritten durch die Stadt zurück und auf den Hof, wo ich Cloud Cuckoo-land wieder Jock übergab und ins Büro ging, um mich mit Margaret zu besprechen. Sie hatte das Pilz-Öfchen voll aufgedreht, aber ich bezweifelte, daß ich, bevor wir mit dem zweiten Lot aufbrachen, wieder ganz trocken sein würde.
»Morgen«, sagte sie karg.
Ich nickte, lächelte halb, ließ mich auf den Drehstuhl fallen.
»Ich habe die Briefe wieder geöffnet … War das richtig?« fragte sie.
»Vollkommen. Und beantworten Sie sie auch selbst, wenn Sie können.«
Sie sah mich überrascht an. »Mr. Griffon diktiert immer alles.«
»Alles, wonach Sie fragen müssen, fragen Sie. Alles, was ich wissen muß, sagen Sie mir. Alles andere erledigen Sie allein.«
»In Ordnung«, sagte sie und klang erfreut.
Ich setzte mich auf den Stuhl meines Vaters, starrte hinunter auf seine Stiefel, die ich usurpiert hatte, und dachte ernsthaft über das nach, was ich in seinen Rechnungsbüchern gesehen hatte. Alessandro war nicht der einzige Ärger, der dem Stall bevorstand.
Ich hörte ein plötzliches Krachen, als die Tür vom Hof ungestüm aufgerissen wurde und Etty wie ein durchgegangenes Raketengeschoß ins Büro stürmte.
»Dieser abscheuliche Junge, den Sie eingestellt haben … Er muß weg. Ich lasse mir das nicht gefallen. Nein, das tu’ ich nicht.«
Sie war außer sich vor Ärger, ihre Augen blitzten wild, ihr Mund war zu einer dünnen Linie zusammengekniffen.
»Was hat er getan?« fragte ich resigniert.
»Er ist mit diesem albernen weißen Wagen weggefahren und hat Indigo mitsamt Sattel und Zaumzeug in der Box stehenlassen. George sagt, er ist von Indigo runtergesprungen, hat ihn in die Box geführt, ist wieder rausgekommen, hat die Tür zugemacht und ist in das Auto gestiegen, und der Chauffeur ist mit ihm davongefahren. Einfach so!« Sie machte eine kurze Pause, um Atem zu schöpfen. »Und wer, glaubt er, wird den Sattel abnehmen und Indigo das Regenwasser abreiben und seine Hufe auswaschen und ihm die Decke auflegen und sein Heu holen und sein Wasser und seine Streu erneuern?«
»Ich geh’ raus und rede mit George«, sagte ich. »Und ich werde ihn bitten, das zu übernehmen.«
»Darum habe ich ihn schon gebeten«, sagte Etty wütend. »Aber darum geht es nicht. Wir werden diesen erbärmlichen kleinen Alex nicht behalten. Keinen Augenblick länger.«
Sie sah mich mit hochgerecktem Kinn an und ließ keinen Zweifel daran, daß sie es ernst meinte. Wie alle Futtermeister hatte sie ein wesentliches Mitspracherecht bei der Einstellung und Entlassung der Hilfskräfte. Ich hatte sie bezüglich der Einstellung von Alessandro nicht gefragt, und nun gab sie mir durch, so laut und deutlich wie eine Glocke, daß ich ihre Autorität anerkennen und ihn loswerden müsse.
»Ich fürchte, daß wir uns mit ihm abfinden müssen, Etty«, sagte ich bedauernd. »Und hoffe, ihm bessere Manieren beibringen zu können.«
»Er muß weg«, beharrte sie energisch.
»Alessandros Vater«, log ich feierlich, »bezahlt ein Heidengeld dafür, daß wir seinen Sohn hier in die Lehre gehen lassen. Für den Stall ist es finanziell sehr einträglich, sich mit ihm abzufinden. Ich werde mit ihm reden, wenn er zum zweiten Lot zurückkommt, und zusehen, ob ich ihn dazu bringen kann, etwas vernünftiger zu
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