Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
Kehlkopf getroffen. »Das geht die Öffentlichkeit nichts an.«
»Man sollte euch alle zu Eunuchen machen!« knirschte Baron von Sencken. »Immer nur Weiber im Kopf. Fressen, saufen, huren – dafür lebt ihr, was? Begreife einer den Pöbel! Dabei vermehrt ihr euch wie die Karnickel! Nicht auszudenken, wie die Welt in hundert Jahren aussehen wird! Eine Apokalypse!«
Er ließ Pittorski stehen und ging schnell zum Verwaltungsgebäude des Gestüts zurück. Pittorski zog den Kopf seines Pferdes zu sich herunter und streichelte es zwischen den Augen.
In hundert Jahren werdet auch ihr endlich arbeiten müssen, dachte er. Ihr hochnäsiges Herrenpack! Dann werden ein Baron oder Graf und Reichsherr genausoviel sein wie Schmied, Schneider oder Bäcker … Die Revolution wird kommen – mit euren Monokeln haltet ihr sie nicht auf! Was wißt ihr denn davon, wie die Bergarbeiter in Kattowitz leben? Die Fabrikarbeiter in Beuthen? Und – vor eurer Haustür – die Landarbeiter von Pleß? Ihr werdet euch wundern, und das dauert nicht einmal mehr hundert Jahre! Die Fäuste sind in der Tasche geballt, einmal kommen sie heraus! Wir sind Menschen wie ihr, das werdet ihr noch lernen!
Pittorski küßte dem Pferd die weichen Nüstern, tätschelte es und führte es in den Stall zurück.
Und nun zu dir, Leo Kochlowsky, dachte er voller Wut. Verkriech dich wie eine gejagte Maus …
Das Theater, vor dem der unbekannte Schreiber Leo gewarnt hatte, begann am nächsten Morgen.
Den Abend und die Nacht davor war Kochlowsky nicht zu erreichen gewesen. Er hatte sich in seinem Verwalterhaus verbarrikadiert, verzichtete auf den abendlichen Spaziergang, der meistens beim Lindenwirt endete, im Sommer bei einem Glas Pilsener Bier, im Winter bei einem großen Glühwein. Statt dessen hatte Leo alle Fensterläden verriegelt, einen dicken Knüppel neben die Haustür an die Wand gelehnt und im Zimmer eine lange Reiterpistole auf den Tisch gelegt.
Caesar hatte zum Abendessen zwei Pfund rohes blutiges Fleisch bekommen, roch nun aus dem Rachen wie ein Raubtier und lag, den Blick seiner bernsteinfarbenen Augen auf seinen Herrn gerichtet, neben der dunkel gebeizten Eckbank. Seine Klugheit und sein Instinkt sagten ihm, daß dies kein Abend wie sonst war.
Gegen zehn Uhr klopfte es draußen. Caesar erhob sich, knurrte dunkel und lief in die Diele. Kochlowsky folgte ihm langsam.
»Geh weiter«, schnauzte er durch die Tür. »Oder ich lasse den Hund los!«
»Ich bin es, Jakob …«, rief Reichert von draußen.
»Scher dich weg!«
»Was ist denn los, Leo? Du wolltest doch heute abend zum Skat kommen.«
»Ihr werdet ja bemerkt haben, daß ich nicht gekommen bin.«
»Das hat uns Sorgen gemacht. Was ist los, Leo?«
»Laß mich in Ruhe!«
»Bist du krank? Ist sonst irgend etwas? Kann ich nicht hereinkommen?«
»Nein!« brüllte Kochlowsky. »Leg deinen Arsch ins Bett!«
Draußen vor der Tür atmete Jakob Reichert auf. Das war echter Kochlowsky-Ton. Drinnen knurrte Caesar, langgezogen und röhrend. Da haben sich zwei gefunden, dachte Reichert. Mit diesem Hund ist Leo nun völlig von seiner Umgebung abgekapselt. Niemand wird mehr wagen, in seine Nähe zu kommen, alle werden ihm aus dem Weg gehen.
»Ich wollte mit dir über Wanda sprechen …«
»Darüber unterhalte ich mich mit einem Dussel wie dir nicht mehr!«
»Leo …«
»Scher dich weg!«
Reichert schüttelte den Kopf, wußte keine Erklärung für Kochlowskys Verhalten und ging zurück zum Schloß. Vielleicht hat er ein Mädchen im Haus, dachte er. Aber das war noch nie ein Grund gewesen, ihn, den vielleicht einzigen Freund, nicht hineinzulassen. Wenn's aber nun ein ganz besonderes Mädchen war?
Eiskalte Angst überfiel Reichert. Er rannte zum Gesindehaus und traf in ihrer kleinen Wohnung Wanda Lubkenski an, wie sie sich gerade die aufgelösten Haare kämmte und in einem mit Baumwollspitzen besetzten Unterrock vor dem Spiegel saß. Ein Schnürleibchen preßte ihre vollen Brüste zusammen und schob sie hoch.
Wanda stieß einen gezierten, gar nicht ehrlich gemeinten Schrei aus, hielt beide Hände vor ihre Brüste und sah Reichert mit leuchtenden Augen an.
»Mein Gott!« sagte sie glucksend. »Hast du es eilig! Du reißt ja die Tür aus den Angeln! Wenn du immer so zupackst …«
»Wo ist Sophie?« fragte Reichert atemlos.
Wanda blickte etwas dümmlich drein. »Oben auf ihrem Zimmer.«
»Bist du sicher?«
»Sie hat angefangen, sich einen Schal für den Winter zu stricken. Wo soll sie sonst
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