Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
gelöst hatten und wieder frei schwingen ließen.
Einer muß aufgeben, dachte Kochlowsky. Einer von uns muß spüren: Es geht nicht mehr. Er muß die Peitsche hinwerfen. Bei einem von uns wird einmal die Grenze erreicht sein … Dann werden die Arme wie Blei sein, die Beine knochenlos, das Hirn leer und das Blut ein feuriger Sturm, der die Umwelt verwischt. Nicht einen Zentimeter mehr werden wir die Arme hochbringen, und unsere Körper werden wie aufgeplatzte Säcke sein.
Aber ich werde es nicht sein, der die Peitsche fallen läßt. Ich nicht! Ich werde sie festhalten und an mich pressen, wenn ich stürzen sollte. Bei euch Soldaten ist es die Fahne, die nie sinken darf – bei mir ist es die Peitsche, ich bin ja nur ein Bauernlümmel …
Die Schläge klatschten. Die Peitsche wurde immer schwerer. Und dann gelang Kochlowsky ein Glückstreffer. Seine Schnur wickelte sich um den Hals von Leutnant von Seynck, eine dünne lederne Schlinge, die ihn sofort abwürgte. Mit einem wilden Ruck riß Kochlowsky den Offizier von den Beinen. Um sich schlagend, rollte er über den Boden.
Kochlowsky hielt die Schnur stramm, wickelte sie, vorwärts gehend, über der linken Faust auf und stand dann über von Seynck gebeugt, der mit hochrotem Gesicht, halb erwürgt und hilflos im Staub lag.
»Ich bin kein Töter!« sagte Leo schwer atmend und ließ die Peitschenschnur locker. »Mir genügt das!« Er blickte in das Gesicht des Leutnants, das von blutigen Peitschenstriemen zerschnitten war. Ich sehe nicht anders aus, dachte Kochlowsky. Ob Narben zurückbleiben wie bei einer Mensur? Für immer ein Gesicht voller Narben, entstellt und zerstört? Und wenn auch, ich habe es für dich getan, Sophie!
Er beugte sich zu von Seynck hinunter, löste die Lederschlinge von dessen Hals, klemmte die Peitsche unter seine Achsel und ging langsam zu den Wagen zurück. Sophie stand in der Kutsche und weinte lautlos. Die Tränen rannen ihr über das zuckende kindliche Gesicht.
»Du Irrer!« sagte Reichert heiser. »Damit hast du alles verloren! Du kannst jetzt dein Leben an den Nagel hängen, wo auch dein Hut hängen wird!« Entsetzt schlug er die Hände zusammen. »Mein Gott, du hast ja kein Gesicht mehr …«
»Das geht dich einen Dreck an! Es ist mein Gesicht!« Kochlowsky ging zu seinem Dogcart, steckte seine Peitsche in die Halterung und kam zur Kutsche zurück. Am Waldrand hatte sich Leutnant von Seynck aufgerichtet und taumelte wie blind zum nächsten Baum, um sich völlig erschöpft daran zu lehnen.
»Kommst du mit mir?« fragte Leo und sah Sophie an.
»Ich habe Angst …«, stammelte sie und weinte hinter der vorgehaltenen Hand.
»Vor mir?«
»Ja …«
»Ich bringe dich nur zum Schloß zurück. Steig in den Dogcart.«
»Ich … ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt.«
»Dann werde ich dich tragen.«
»Rühr sie nicht an!« schrie Reichert von seinem Kutschbock.
»Kümmere dich um deine Wanda, die sich wie eine streunende Katze herumtreibt. Und lade den Leutnant ein …« Leo beugte sich in die Kutsche, aber Sophie wich zurück, als sei er ein Gespenst. »Komm her, es wird schon dunkel …«
»Du blutest …«, stammelte sie. »Überall blutest du. Warum hast du das getan, Leo?«
»Darum …« Er versuchte ein Lächeln – es wurde ein verzerrtes Grinsen. »Darum, daß du mich jetzt du nennst … Das ist fast schon ein halber Himmel …«
Er zog sie zu sich, nahm sie auf seine Arme und wäre bald unter ihrer leichten Last zusammengebrochen, so entkräftet war er durch das Peitschenduell.
Sie wiegt nicht mehr als fünfundachtzig Pfund, dachte er. Bestimmt nicht mehr. Aber jetzt ist es, als ob ich einen jungen Bullen schleppen müßte. Nur drei Meter sind es, nur lächerliche drei Meter bis zu meinem Dogcart. Leo, du mußt das schaffen, du darfst nicht zusammenbrechen, du hältst sie auf deinen Armen, das Liebste, was du auf der Welt hast. Drei Meter, Leo, drei große Schritte … so viel Kraft mußt du noch haben!
Er schwankte mit kleinen Trippelschritten zu seinem Gefährt, spürte, wie Sophie ihm aus den Armen zu gleiten begann, weil es ihm einfach unmöglich war, die Muskeln anzuspannen und sie zu tragen … Er knirschte mit den Zähnen, heulte nach innen, sein mit blutigen Striemen überzogenes Gesicht zuckte … Dann stand er neben seinem Dogcart, Sophie glitt auf den Sitz und umklammerte plötzlich seine Schultern, weil er unter ihr wegrutschte. Er knickte in den Knien ein und fiel gegen das hohe Holzrad. Sie hielt ihn fest,
Weitere Kostenlose Bücher