König der Dunkelheit: Roman (German Edition)
Bedürfnis, einen brennenden Durst zu stillen. Wie Paris und Helena – ich liege mit einem unwiderstehlichen Verlangen danieder.
In meiner Erinnerung betrachte ich das Licht auf ihrem Gesicht, unter den Glühkugeln der Hohen Burg, unter den Bäumen des Friedhofs. Ich beneide die Flecken aus Sonnenschein, die über ihr Haar gleiten, ungehindert über den Körper streichen, die Wangenknochen berühren. Ich erinnere mich an alles. Ich erinnere mich an den Rhythmus ihres Atems. Ich erinnere
mich daran, wie ihr in der Hitze von Dranes Küche ein einzelner Schweißtropfen über den Hals rann, an der Sehne entlang und über die Kehle. Ich habe Männer getötet und sie vergessen. Ich habe Leben ausgelöscht und keinen Gedanken mehr daran vergeudet. Aber jener Schweißtropfen ist ein Diamant in meiner Erinnerung.
»Hallo, Jorg.« Und meine klugen Worte verlassen mich. Bei ihr fühle ich mich wie vierzehn Sommer, mehr Knabe als Mann.
Ich will sie über die Grenzen aller Vernunft hinaus. Ich muss sie für mich haben, sie besitzen, sie verehren und verschlingen. Wozu ich sie in meiner Vorstellung gemacht habe, kann nicht in Fleisch existieren. Sie ist nur eine Person, eine Frau, aber sie steht an der Tür einer alten Welt, und obwohl ich nicht zurückkann … Sie kann die Tür passieren und vielleicht etwas vom Geruch jener Welt mitbringen, einen Hauch ihrer verlorenen Wärme.
Diese Gefühle sind so intensiv, dass sie nicht lange dauern können. Sie würden uns zu Asche verbrennen.
Ich habe sie in Träumen gesehen. Ich sehe sie erneut vor den Bergen. Groß, kalt und rein wie Schnee, unerreichbar. Ich klettere, und auf dem leeren Gipfel spreche ich ihren Namen, doch der Wind nimmt ihn mir, und er nimmt auch mich. Durch Leere falle ich …
»Hallo, Jorg.«
Meine Haut prickelt. Ich reibe mir die Wange, und als ich die Finger betrachte, sind sie blutig und aufgeschnitten. Mein ganzer Leib brennt, weil Nadeln in ihm stecken. Echte Nadeln. Ich schreie, und die brennenden, stechenden Stellen öffnen sich wie die Knospen an den Zweigen eines Baums. Hunderte von Dornen wachsen aus mir, direkt aus den Knochen. Tiere
sind an ihnen aufgespießt, wie die Trophäen an der Wand eines Jägers. Ratte, Ziege, Frettchen, Fuchs, Hund … ein Kind. Schlaff, der Blick auf mich gerichtet.
Ich schreie erneut und drehe mich in Dunkelheit. In eine Nacht, die nur ein Flüstern braucht, um Form zu gewinnen. Ein geflüstertes Lied, das lauter wird.
Topologie, Tautologie, Torsion, Tortur, Tiere, Trauer und Tragik … Etwas berührt mich und versucht, mir etwas zu stehlen.
Jemand befummelte meinen Arm, mit dummen Fingern, die nicht den Verschluss der Uhr fanden. Eine kurze Bewegung, und ich hielt das Handgelenk, unglaublich dick und stark. Ich grub den Daumen in den Druckpunkt, den Lundist mir in einem Buch gezeigt hatte.
»Arrg!« Rikes Stimme. »Pax!«
Mit einem Ruck setzte ich mich auf, durchbrach die Oberfläche, atmete die Luft, die auf mich gewartet hatte, und schüttelte die Dunkelheit ab. Topologie, Tautologie, Torsion … Die bedeutungslosen Worte lösten sich auf.
»Rike!« Er war über mich gebeugt und schirmte das Licht einer zu hellen Sonne ab.
Er grinste spöttisch und wich zurück. »Pax.«
Pax. Straßensprache. Friede, es liegt mir in der Natur. Eine Ausrede für jedes Verbrechen, bei dem man ertappt wird. Manchmal glaube ich, dass ich die Worte auf der Stirn tragen sollte. »Wo zur Hölle sind wir?«, fragte ich. Ein leeres Gefühl steckte in mir, reichte vom Bauch bis hinter die Augen.
»Hölle ist das richtige Wort.« Der Rote Kent kam näher.
Ich hob die Hand. Sand klebte an ihr. Sand war überall. »Eine Wüste?«
An meiner rechten Hand fehlten zwei Fingernägel. Abgerissen.
Es begann zu schmerzen. Die anderen Nägel waren eingerissen und gesplittert. Und ich hatte überall blaue Flecken.
Gog kam hinter einem einzelnen Strauch hervor, ganz langsam, als fürchtete er, von mir gebissen zu werden.
»Ich …« Ich drückte die Hand an die Seite des Kopfes. Sand schabte über Haut. »Ich war bei Katherine …«
»Und dann?« Makins Stimme erklang hinter mir.
»Ich …« Nichts. Und dann nichts. Als ob der kleine Jorgy zu voll von Frühlingswärme gewesen wäre und zu sehr an neue Möglichkeiten gedacht hätte. Und dann war ein Stein aus den Schatten gekommen und hatte ihn aus dem Baum geholt.
Ich erinnerte mich an die Dornen. Ihr Stechen und Brennen blieb bei mir. Ich hob die Arme. Keine Wunden, aber die Haut
Weitere Kostenlose Bücher