Koenigin der Meere - Roman
machte sich auf die Suche nach dem Felsbrocken, den Anne ihm beschrieben hatte. Er stand mit dem Rücken zum Meer und rieb sich die Augen. Zu seinem Erschrecken lag da nicht, wie er verstanden hatte, ein riesiger Stein, den man nicht verfehlen konnte. Seite an Seite zählte er mindestens zwanzig Findlinge, die einander glichen, wie ein Ei dem anderen. Jubilo ging zurück zum Boot und rief sich Annes Anweisung ins Gedächtnis. Dreißig Meter vom Meer, hatte sie gesagt und einen bestimmten Baum als Orientierungshilfe genannt. Jubilo verbrachte Dreiviertel des Tages damit, den Strand abzuschreiten und nach dem Stein zu suchen, hinter dem Mary und Anne ihre Juwelen vergraben hatten.
Sein Magen knurrte, seine Augen brannten, aber Jubilo gab nicht auf. Um nichts in der Welt würde er ohne die Edelsteine nach Pinos zurückkehren, und wenn er noch so lange auf diesem vermaledeiten Stück Strand auf und ab marschieren musste, er würde den Stein finden und den Schatz bergen. Mit Einbruch der Dunkelheit blieb ihm nichts anderes übrig, als die Suche zu vertagen, bis die Sonne wieder aufging. Vier weitere Fehlversuche brachten ihn an den Rand der Verzweiflung, doch dann wurde seine Ausdauer belohnt. Das fünfte Loch, das er am frühen Nachmittag grub, war etwas über einen Meter tief, als sein Spaten auf einen harten Widerstand stieß. Jubilo legte
sich bäuchlings auf den Sand und scharrte mit den bloßen Händen in der Grube. Kein Zweifel, er war auf die Kiste gestoßen, die Mary und Anne hier versteckt hatten. Als er den Kasten voller Juwelen vor sich auf dem Sand stehen hatte, lief Jubilo ein Schauer über den Rücken. Arg wöhnisch sah er sich um. Was, wenn ihn jemand beobachtet hatte? In der Nacht, alleine an seinem Feuer, war er leichte Beute für jeden, der ihm übelwollte. Jubilo trug die Kiste zu seinem Boot und versteckte sie unter einer Decke. Dann lief er zurück zu den Felsbrocken und schaufelte die Löcher, die er gegraben hatte, eines nach dem anderen wieder zu. Um alle Spuren zu verwischen, trampelte er den Sand fest und fegte dann mit einem Palmwedel darüber. Auf die gleiche Weise glättete er den Sand nach jedem Schritt, den er in Richtung des Bootes tat.
Es war zu spät, den Heimweg anzutreten. Die Sonne versank rotgolden im Meer. Jubilo lud seine Pistole, legte sie griffbereit neben sich und schloss die Augen. Von wirren Träumen gequält, schreckte er immer wieder hoch und war froh, als er bei Tagesanbruch seine beiden Ruder ergreifen und sich auf den Weg zurück nach Pinos machen konnte.
Kisu schmollte sechs Tage. Am siebten Morgen hatte Anne genug von ihren heruntergezogenen Mundwinkeln und bösen Blicken und weihte sie ein. Kisu starrte sie einige Minuten ungläubig an, dann entluden sich Anspannung und Sorge in einem Aufschrei, der Anne an ihre eigenen Wutanfälle erinnerte.
»Du hast ihn ganz allein mit einem winzigen Boot auf das offene Meer geschickt. Du hast sein Leben aufs Spiel gesetzt, für ein paar Ketten und Ringe?« Kisu heulte wie ein verletztes Tier und raufte sich die Haare.
»Ich werde den Mann, den ich liebe, nie wiedersehen, sicher liegt er schon auf dem Meeresgrund, wenn ihn nicht die Haie gefressen haben!« Anne ließ sie eine Weile gewähren, doch als der Ausbruch nicht abebbte, packte sie das Mädchen schließlich an den Schultern.
»Schluss jetzt! Halt den Mund. Dein Gejammer ist genau der Grund, warum ich dir vorher nichts erzählt und Jubilo verboten habe, mit dir zu sprechen. Du hättest ihm nur das Herz schwergemacht und
seine Reise doch nicht verhindern können. Wir brauchen die Juwelen, wenn wir Pinos verlassen, oder willst du das Geld für Jack, Mike, mich, Jubilo und dich verdienen?« Kisu verstummte erschrocken. Sie senkte den Kopf und zog die Nase hoch.
»Wenn ich wüsste wie, würde ich es gerne verdienen«, flüsterte sie. Anne nahm sie versöhnlich in den Arm.
»Mach dir keine Sorgen. In ein paar Tagen ist Jubilo wieder hier. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich jemals etwas tun würde, was ihn gefährden könnte! Er ist mein Bruder, und ich liebe ihn anders, aber genauso wie du.« Getröstet von ihren Worten, beruhigte sich Kisu und ging zum Haus, um nach Mike zu sehen.
Anne saß auf der Bank und rief Jack zu sich. Der kleine Junge hatte längst jede Scheu abgelegt und setzte sich neben sie. Er legte das Ohr an den Bauch seiner Mutter und lauschte erwartungsvoll. Anne streichelte seinen Rücken und murmelte: »Und wenn dein Geschwisterchen erst
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