Königin der Schwerter
sich.
»Nun, glaubt Ihr immer noch, dass die Vision nur ein Traum war?«, hörte er Odion fragen.
»Was hat das denn damit zu tun?« Karadek war viel zu aufgebracht, um den verworrenen Gedanke n gängen des Auguren folgen zu können. Das Heer war ohne Führung, wie sollte es sich da mit den Rebellen ve r bünden …
Karadek stutzte. Zoltan war bei den Rebellen. Vermutlich lebte er noch. Wer konnte schon sagen, welcher Folter er dort ausgesetzt wurde? Wer vermoc h te zu ermessen, welche Zugeständnisse man ihm unter unsäglichen Qualen abringen würde? Das Heer war in Gefahr! Die Erkenntnis jagte Karadek einen eisigen Schauder den Rücken hinunter. »Ich muss sofort ins Waldland.« Entschlossen stand er auf »Page?« Auge n blicklich wurde die wuchtige Tür geöffnet, und der halbwüchsige Knabe in der G e wandung der Pagen trat wieder in den Raum.
»Lauf zum Kommandanten meiner Leibgarde«, b e fahl Karadek ihm knapp. »Seine fünfzig Männer sollen sich unverzüglich bereit machen. Wenn die Sonne im Zenit steht, brechen wir auf- ins Wal d land.«
»Jawohl, Herr.« Der Page verneigte sich und ve r ließ den Raum. Kaum hatte er die Tür geschlossen, trat Odion vor. Sein Gesicht war von tiefer Besorgnis g e zeichnet.
»Das dürft Ihr nicht tun«, mahnte er. »Es ist viel zu gefährlich. Bedenkt, wie viele Opfer allein das Heer auf dem Marsch durch den Wald zu beklagen hatte.«
»Wir marschieren nicht, wie reiten, und zwar schnell«, erwiderte Karadek knapp. »Die Rebellen wi s sen nicht, dass wir kommen. Ehe sie ihre Posten bez o gen haben, sind wir längst vorbei.«
»Und was wird aus Torpak?«, wollte der Augur wi s sen. »Wenn Ihr auch noch die Leibgarde abzieht, bleibt die Stadt nahezu schutzlos zurück.«
»Es sind noch genügend alte und verletzte Gardi s ten hier, um die Weiber und Kinder zu beschü t zen«, meinte Karadek geringschätzig. »Und jetzt entschuld i ge mich. Ich habe noch eine Menge Vo r bereitungen zu treffen.«
***
Die Sonne hatte sich noch nicht über den östlichen Horizont erhoben, als Zarife im frostigen Dämme r grau den steinigen Pfad zum Platz der Anrufung hi n aufschritt. Jeder Atemzug formte eine kleine weiße Wolke, während sie, in ihren wärmenden Wolfspelz gehüllt, den Hügel erklomm, um fortz u setzen, was sie am Abend zuvor begonnen hatte.
Die Nachtruhe hatte ihre Kräfte gestärkt. Mit e t was Glück würde es ihr an diesem Morgen gelingen, das Tor länger geöffnet zu halten. Zarife gab einen mis s mutigen Laut von sich. Nicht zum ersten Mal ve r fluchte sie in Gedanken die nichtsnutzigen Hüteri n nen, die das Tor bei der Anrufung fast gänzlich ze r stört hatten. Wäre es intakt, könnte sie schon jetzt auf dem Weg zum Waldrand sein, um die Früchte ihres Plans zu ernten. So aber würde es noch viele Tage dauern, bis alle Verbündeten das Tor durc h schritten hatten. Dadurch ging nicht nur kostbare Zeit verloren, die fortwährenden Anstrengungen, den Verbündeten das Tor zu öffnen, zehrten auch an ihren Kräften.
Doch Zarife hatte gelernt zu warten und wollte sich von solchen Unwägbarkeiten nicht aus der Ruhe bri n gen lassen. Noch lief alles nach Plan, und o b wohl sie diesen ein wenig hatte ändern müssen, gab es doch nichts, das ihr gefährlich werden konnte. Am Ende würde ihr Triumph stehen, wenn auch ein paar Tage später als ursprünglich geplant.
Gedankenversunken trat sie in den Kreis der mäc h tigen Monolithen, umrundete die große Feue r stelle und trat vor den rußgeschwärzten Stein. Dort hielt sie inne, schloss die Augen und verdrängte alle störenden G e danken aus ihrem Bewusstsein, ehe sie die Hände flach auf den Stein legte, um eine Brücke zu schlagen und weitere Verbündete ins Land zu holen. Sie hatte die Anrufung noch nicht begonnen, als sie ein wa r nendes Prickeln im Nacken spürte. Sie war nicht allein. Lan g sam drehte sie sich um. Hinter ihr standen, aus Nebel geformt, drei Dashken. Der erste Eleme n targeist hatte die Gestalt einer alten Frau mit schlo h weißem Haar angenommen. Die beiden dahinter ha t ten das Aussehen jener Krieger g e wählt, die einst den Weißen Tempel von Benize b e wacht hatten. Zorn lag in der Luft. Zarife spürte es, noch ehe die Frau das Wort ergriff.
»Ihr habt uns betrogen!« Die Luft knisterte unter der Gewalt der Worte, die die Frau wählte. »Belogen und betrogen, alle die Jahrhunderte lang.«
»Ich verstehe nicht.« Zarife gab sich unbedarft. »Die Prophezeiung hat sich erfüllt, so wie
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