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Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)

Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)

Titel: Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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fanden im weiteren Umkreis der Eiche nichts dergleichen. Jordan verfocht zunehmend die Auffassung, Falckenberg habe sich selbst getötet. Dazu nun allerdings stand der Fundort der Waffe in einigem Widerspruch. Aber der Polizeichef gab seine These nicht so leicht auf:
    »Er brachte sich den tödlichen Schuss dort bei, wo Ihr die Waffe gefunden habt, doch er war nicht sofort tot und schleppte sich noch bis zur Eiche.«
    »Und kam ohne Schwierigkeiten sterbend durch die dichten Brombeerranken?«, Langustier meldete starke Zweifel an.
    Käuzchen riefen und Fledermäuse gaukelten bereits im Zickzackflug über die Lichtung, als sich die Männer den Weg durchs Unterholz zur Chaussee zurück bahnten, wo der Kutscher im Finstern ausgeharrt hatte. Die spärlich verteilten Laternen brannten nur, wenn sich zwischen den Schlössern königlicher Verkehr bewegte. Der Wagenlenker entzündete die trüben Öllampen an seinem Gefährt, was sofort Dutzende von Nachtfaltern anlockte, und rollte mit den Insassen wunschgemäß Richtung Berlin.
    Vor dem mit Fackeln erleuchteten Brandenburger Tor bog er nach links ab, querte die Spree über die Tiergartenbrücke und den am Unterbaum einmündenden Schönhauser Kanal, an dessen Ufern Nebel zu wallen begann. Ein Strich Enten zog vorbei und landete weiter hinten in den Schilfgürteln. Der Mond schob sich durch schütteres Gewölk, als der Wagen langsam die Dammstraße herunterkam und das einzige, weithin sichtbare Gebäude ansteuerte: ein zweigeschossiges, kasernenartiges Häuserquarrß mit vier Ecktürmen, vielen Schornsteinen und einem Scheunentor an der Straßenfront. Widerstrebend wurde auf Jordans Zuruf das Tor geöffnet. Lärmend rollte der Wagen mit seinen eisenbeschlagenen Reifen auf den gepflasterten und sauber gekehrten Innenhof, in dessen Mitte ein niedriger Bau, das Inspektorhaus, stand.
    Die vorgerückte Stunde schien nicht unbedingt geeignet, ohne Vorankündigung einen so wichtigen Lokaltermin anzuberaumen. Doch Langustier und Jordan hatten Glück. Der leitende Arzt des Garnisons- und Bürgerlazaretts der ›Charitß‹, Johann Theodor Eller, königlicher Leibarzt und lehrender Professor am Collegium Medico-chirurgicum, aktives Mitglied der Akademie der Wissenschaftensowie Direktor aller medizinischen und chirurgischen Sachen in königlichen Landen, befand sich noch in seinem Labor, wo ihn gerade die Anfertigung eines Lehrpräparates in Atem hielt. Professor Eller bat die unerwarteten Besucher kurz um Geduld und goss den Rest heißen Wachses aus einem Stieltopf durch verschiedene metallene Trichter ins geöffnete Aderwerk eines pantoffelförmigen Gebildes – eines Lungenflügels, wie er nebenhin erklärte. Jordan bemühte sich, bei diesem Anblick nichts zu empfinden und starrte angestrengt abwechselnd auf Decke oder Estrich, während Langustier die Gelegenheit nutzte, das rundum sich ausbreitende anatomische Wunderkabinett menschlicher Überreste ausgiebigst in Augenschein zu nehmen. Schließlich bekam kein gewöhnlicher Sterblicher derlei Dinge oft zu Gesicht.
    Abnorme Gehirne, verwachsene Gliedmaßen und halb zersetzte Nieren stauten sich in beschrifteten Einmachgläsern am Boden. Eine Holzkiste mit voluminösen Blasensteinen und monströsen Zahnwurzeln leitete vom bücherbeladenen Tisch zum Holzregal an der Wand über, wo eine Batterie übel deformierter Hirnschalen lagerte: platte, spitze und ballonartig aufgetriebene Schädel, die sich eher für Mäuse oder Elefanten als für Menschen geschickt hätten, daneben solche mit Blessuren, kreisförmigen Trepanationslöchern oder zackigen Einsplitterungen. Ein komplett mit Haut und Haaren eingelegter winziger Kopf bildete den Abschluss dieses ungewöhnlichen Frieses: Wie ein menschenähnliches Frettchen hatte das zugehörige Wesen ausgesehen. Langustier mochte sich von diesem schauerlichen Anblick kaum trennen.
    Links und rechts der Tür zum Hörsaal, der sich unmittelbar an dieses Kabinett anschloss, standen in makaberster Drapierung noch zwei Gerippe, bei deren Größe es dem hartgesottenen Langustier für einen Moment die Sprache verschlug. Es waren die Knochengerüste zweier Riesen aus der früheren Garde der ›Langen Kerls‹, die der ungeschlachte Soldatenkönig so geliebt und sich in aller Herren Länder zusammengekauft hatte. Von denprächtigen Uniformen waren ihnen nur die roten Blechkappen mit schmalem, hohem, blattartig aufgetriebenem Vorderschild gelassen worden, auf dem unter einer ziselierten Goldkrone in

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