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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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noch Hunderte solcher Geschichten ein, aber wir übersehen hier den wichtigstenPunkt.“ Er machte eine dramaturgische Pause und wartete, bis Lehner und Baumgartner ihre Blicke auf ihn gerichtet hatten. „Dieser Punkt ist: Niemandem ist etwas passiert.“
    Hektisch fuhr sich Baumgartner durch sein zerzaustes Haar. Sein Gesicht war rot und fleckig und sein Hals sah geschwollen aus und war von Striemen gezeichnet, die seine Fingernägel hinterlassen hatten. „Wenn ich Doktor Lehner richtig verstanden habe, hätte ich bei diesem Unfall draufgehen können, und Sie erzählen mir seelenruhig, dass niemandem etwas passiert
ist
. Der Punkt ist doch nicht, was passiert ist, sondern was hätte passieren
können
, weil dieser verdammte Abzug nicht funktioniert hat.“
    â€žIch kann Ihnen sagen, was passiert ist“, sagte Berger mit eiskalter Stimme, die so gar nicht zur brodelnden Hitze dieses schönen Sommertages passte, die sich langsam von der Terrasse ins Büro ergoss. „Sie haben durch Unfähigkeit oder Nachlässigkeit Laborgeräte im Wert von mehreren zehntausend Euro zerstört, und anstatt froh zu sein, Ihren Job zu behalten, spielen Sie sich hier als Opfer auf und steigern sich in lächerlichster Weise in etwas hinein. Das ist passiert.“
    Baumgartner stöhnte gequält auf, warf die Arme in die Höhe und verzog seine Lippen zu einer Parodie eines Lächelns. „Ich denke, jetzt haben wir den Punkt gefunden“, sagte er. „Es geht Ihnen nicht um die Sicherheit in der Firma, oder um etwas für Sie so Unwesentliches wie meine Gesundheit, nein, für Sie zählt nur das Image und das Geld, richtig? Die Anrufe, der Artikel in der Zeitung, die paar Euro, die Sie vermutlich aus der Portokassa bezahlen, das wurmt Sie. Das alles ist Ihnen lästig. Sie, der Sie hier oben sitzen und die Fäden ziehen, möchten von all dem
verschont
bleiben.“
    Berger zitterte. Das Zittern begann in den Knien, breitete sich über die Hüften in den Oberkörper aus, schwappte über in die Arme und Hände und erreichte schließlich seine Stimme. „Raus!“, brüllte er und deutete mit ausgestrecktem Arm zur Tür. „Verschwinden Sie aus meinem Büro! Packen Sie Ihre Sachen und hauen Sie ab!“
    â€žSie feuern mich?“, fragte Baumgartner und sein Hals juckte noch stärker. „Sie können mich doch nicht einfach …“
    â€žIch sag es Ihnen zum letzten Mal“, sagte Berger und jetzt flüsterte er beinahe, „machen Sie, dass Sie aus meinem Büro verschwinden. Und sollten Sie auf die dumme Idee kommen, sich an die Presse zu wenden, mach ich Sie fertig. Dann können Sie die nächsten paar Jahre vor Gericht mit meinen Anwälten streiten und die nächsten paar Leben damit zubringen, genug Geld aufzutreiben, um die Ihren zu bezahlen.“ Er machte eine Pause, dachte kurz nach und fügte mit einem bösartigen Grinsen hinzu: „Sie werden in dieser Branche keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, dafür sorge ich.“
    Baumgartner, der aussah, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt, wandte sich hilfesuchend an Lehner, der jedoch nur betrübt dreinschaute und mit den Schultern zuckte. Wie betäubt ging Baumgartner zur Tür, versetzte der zusammengeknüllten Zeitung einen halbherzigen Tritt und verließ das Büro mit hängenden Schultern.
    Berger machte die Tür hinter ihm zu und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Dann schloss er für einen Moment die Augen und zwang sich, an etwas Schönes zu denken, und die Rosen auf seiner Terrasse fielen ihm ein, und als er die Augen wieder öffnete, hatten sich sein Zorn und seine Angst so weit verflüchtigt, dass er ganz ruhig zu Lehner sagen konnte: „Sie dürfen jetzt ebenfalls gehen. Und sollten Sie mir jemals wieder derart in den Rücken fallen, können Sie sich mit Baumgartner eine Wartebank im Arbeitsamt teilen. Und ob das Ihrer süßen Tochter gefällt, wage ich zu bezweifeln.“
    Traurig lächelnd sagte Lehner: „Was wissen Sie schon von mir und meiner Tochter? Gar nichts wissen Sie“, dann ging er mit langsamen, beinahe zögerlichen Schritten zur Tür und schloss sie leise hinter sich.
    Berger begab sich zur Terrasse, trat hinaus, warf einen Blick auf die Rosen, die seine Zukunft verkörperten, und drehte sich zu Schrempf um, der an der Glastür lehnte und äußerst

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