Komm schon
sperrte er die Tür auf, hechtete hinein und konnte gerade noch nach dem tragbaren Telefon greifen, ehe sich der Anrufbeantworter einschaltete. Fünf Nachrichten waren bereits eingegangen. Kein gutes Zeichen.
»Hallo?«, sagte er atemlos.
»Riley? Hier ist dein Dad.« Die Stimme seines Stiefvaters klang gepresst, als könne er seinen Ärger nur mühsam unterdrücken.
»Du hast es also schon gehört?«
»Alle haben es schon gehört. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie konnte das herauskommen?«
Riley hörte, wie Harlan mit den Zähnen knirschte, wie immer in Stresssituationen. Eine höchst ungesunde Angewohnheit, zumal er als Politiker ständig unter Stress stand.
»Sie sind über mich hergefallen, als ich aus dem Fitnessstudio kam«, erzählte Riley. »Diese verdammte Journalistin hat mich total überrumpelt. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet.« Er holte tief Luft. »Wie geht es Mom?«
Harlan seufzte tief. »Den Umständen entsprechend. Ihre Freunde hier wussten nicht, dass sie schon einmal verheiratet war. Nicht, dass wir die Angelegenheit bewusst vertuscht hätten; sie kam einfach nie zur Sprache. Und da wir den Namen Spencer Atkins vergessen wollten, schien es uns klüger, das Kapitel abzuschließen und nach vorn zu blicken.«
Riley nickte. »Durchaus verständlich.«
»Was hier für ungleich mehr Aufregung sorgt, ist die Tatsache, dass Spencer schwul ist.«
»Mom wusste nichts davon, also sollte man sie eigentlich in Ruhe lassen.« Riley hatte zwar genauso wenig gewusst, aber nun musste er sich dennoch mit dem Thema auseinandersetzen.
»Trotzdem ist es auch für sie peinlich. Aber sie ist eine starke Frau, sie wird es überstehen. Mehr noch, sie wird sich wacker schlagen«, sagte Harlan stolz.
Riley lächelte. »Du liebst sie«, sagte er und bemerkte erst hinterher, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.
»Wie am allerersten Tag.«
»Sie kann sich glücklich schätzen, dass sie dir begegnet ist. Und ich auch.« Schon seltsam, dachte er, dass man in Krisensituationen manche Dinge im Leben umso mehr zu schätzen wusste.
Es folgte eine lange Pause. »Ich ebenfalls, mein Sohn«, sagte Harlan schließlich. »Ob du es glaubst oder nicht; ich habe versucht, uns das alles zu ersparen. Nicht nur wegen meiner Stellung und meiner Karriere.« Seine Stimme schwankte.
Auch Riley war sehr ergriffen. »Ich muss mich jetzt um Lizzie kümmern. Gib Mom einen Kuss von mir und sag ihr, ich rufe sie später an.«
»Wird gemacht«, versprach sein Stiefvater. »Und ich verspreche dir, ich finde heraus, wer für diesen Skandal verantwortlich ist, und ich werde dafür sorgen, dass der Mistkerl dafür bezahlt.«
»Früher oder später musste es rauskommen. Manches kann man eben nicht bis in alle Ewigkeit geheim halten.«
»Aber es wäre oft besser«, beharrte Harlan und legte auf.
Er kann es gar nicht erwarten, sich an die Arbeit zu machen und Schadensbegrenzung zu betreiben, dachte Riley.
Er schloss die Augen und dachte an seine Tochter. Es war eine Sache, als Erwachsener mit derartigen Situationen konfrontiert zu werden, und eine ganz andere, als dreizehnjähriges Mädchen öffentlich gedemütigt zu werden.
Er schnappte sich seine Schlüssel. Auf zu Lizzie und Lisa.
Spencer starrte aus dem Fenster seiner exklusiven Penthouse-Wohnung in der Upper East Side. Sein ganzes Leben war ein einziges Durcheinander von Klischees und Widersprüchen gewesen.
Ein Schwuler, der heiratet, um seine sexuelle Orientierung zu kaschieren. Anfangs hatte er noch versucht, sich zu ändern - Ende der 1950er-Jahre wurde Homosexuellen von der Gesellschaft eben nicht das geringste Verständnis entgegengebracht, von Akzeptanz ganz zu schweigen. Daran hatte sich ja genau genommen in manchen Ecken des Landes bis jetzt noch nicht viel geändert. Er bereute es nicht, dass er versucht hatte, sich anzupassen. Er bedauerte nur, dass er Anne dabei verletzt hatte.
Denn wenn er eine Frau so hätte lieben können, wie Männer Frauen lieben, dann wäre es Anne gewesen; Rileys Mutter, seine Doris Day mit der sanften Stimme und dem gütigen Wesen. Bei ihr wären noch ganz andere Kaliber als er schwach geworden. Er hatte sie geliebt, auf seine Weise, und er hatte aus tiefstem Herzen gewünscht, ihre Ehe möge funktionieren, vor allem, als sich herausstellte, dass sie ein Kind von ihm erwartete.
Leider war das zugleich der Anfang vom Ende gewesen, sowohl in Bezug auf ihre Ehe als auch hinsichtlich seiner inneren Einstellung. Es war ihm
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