Komm wieder zurück: Roman
mir die Aussicht auf die Eisenbahn von hier oben.«
Ein altes metallgerahmtes Foto steht auf dem Couchtisch, und Annie hat das Gefühl, dass es erst kürzlich dorthin gestellt wurde. Es ist ein Foto von ihrem Vater und Calder auf einem Kai mit demglitzernden Parsons Lake im Hintergrund. Calder ist höchstens zehn, er grinst in die Kamera und präsentiert stolz einen Barsch an der Angel. Ihr Vater scheint überrumpelt, vielleicht sah er zur Seite zur Mutter hin, sein langer Arm hängt lose um Calders Schulter.
»Das hab ich neulich beim Aufräumen gefunden«, sagt Onkel Calder.
»Endlich hatte er mal einen Größeren erwischt als ich«, sagt Annie.
Der Kaffee ist wässrig, fade.
»Na? Was meinst du?« Onkel Calder klatscht sich leicht auf den Schenkel und hält die Hand hoch. »Ich glaube, du warst nicht mehr hier, seit du so groß warst.«
»So groß bin ich immer noch.«
Er lacht. »Ich freue mich über deinen Besuch.« Ein Büschel dickes graues Haar lugt über seinem Ohr unter der Mütze hervor, und Annie denkt, genauso wird Calder im Alter aussehen.
Onkel Calder bemerkt ihren Blick, nimmt die Mütze ab und streicht sein Haar wieder glatt nach hinten.
»Es tut mir leid«, sagt sie. »Die letzten Monate waren schwer für mich. Ich weiß, dass Calder oft bei dir vorbeischaut. Um ehrlich zu sein, wollte ich ihm nicht begegnen.«
Er lässt die Unterarme auf seine Schenkel sinken und nickt mit gesenktem Kopf.
»Du kennst nicht die ganze Geschichte.« Annie denkt an den schlimmsten Teil davon und verdrängt schnell wieder den Gedanken daran.
»Was für eine Geschichte?«
»Was mir passiert ist. Ich meine, zwischen Calder und mir.«
»Zum Teil schon. Ob das alles war, weiß ich nicht. Vermutlich nicht. Ich kann die Fakten nicht überprüfen. Ich habe nie deine Seite der Geschichte gehört.«
Sie sieht zum Fenster hin. Eine verfärbte Sonnenblende aus Plastik ist halb heruntergezogen.
»Warum sollte ich denn zu dir kommen?«
»Ich habe ihn gestern besucht«, sagt Onkel Calder.
»Wie geht es ihm?«
»Warum gehst du nicht selbst nachsehen?«
»Das habe ich vor.« Sie stellt ihren Kaffee auf den Packen Zeitungen und seufzt.
»Er hält sich gut«, sagt Onkel Calder. »Bis auf die Tics. Er hat wieder angefangen zu zappeln.«
»Mom hat es mir erzählt.« Die Erwähnung ihrer Mutter hängt zwischen ihnen.
»Wie geht es ihr?«, fragt er.
»Die hält sich auch gut, denke ich mal.«
»Aha.«
»Man darf nicht zu viel erwarten«, sagt Annie.
»Nein. Sie hat eine Menge durchgemacht.«
»Haben wir doch alle.«
»Ist der Kaffee gut?«
»Mmn.« Annie trinkt einen Schluck.
»Die Sache ist die«, sagt Onkel Calder. »Durch die Tics wirkt er halb dement, was für seine Verteidigung nicht sehr hilfreich ist.« Er räuspert sich und reibt sein Handgelenk über den Mund, als ob er Schweiß abwischen würde. Auf dem Unterarm hat er lauter leichte blaue Flecke.
»Was hast du mit deinem Arm gemacht?«
Er sieht ihn sich an und schüttelt den Kopf. »Achtzig Jahre und ein paar zerquetschte, das ist passiert. Dann bekommt man schon blaue Flecke, wenn man nur daran denkt, sich zu bewegen.« Er sieht auf ihre Hände. »Was für eine hast du dafür? Sieht aus, als wären deine Hände in einen Fleischwolf geraten.«
»Nichts weiter, nur schleifen, Tangelos pflücken. Hast du ein Blutbild machen lassen? Um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist?«
»Siehst du den Rollator da hinten? Die Ärzte bezahlen mich dafür, dass ich ihn teste.«
»Das hast du bereits erwähnt.«
»Hast du eine Ahnung, wie viele Leute bereit sind, dich dafür zu bezahlen, eine Versuchsreihe durchzuführen, für die du siesonst bezahlen müsstest? Der Internist will deinen Cholesterinspiegel messen, der Mann im Radio will wissen, ob du Depressionen hast, die Reklametafel am Freeway bietet dir Hilfe gegen Haarausfall an, die Frau im Fernsehen will dir gegen den hohen Blutdruck helfen.«
»Und der Rollator?«
»Da gibt es noch eine ganz andere Stelle, die sich auf Extras spezialisiert. Die bezahlen mich, damit ich alle möglichen Sachen ausprobiere. Inzwischen nehmen mir die anderen Weißkittel Blut ab und fragen mich aus wie die Ehefrau, die ich nie hatte. Die wollen wissen, was ich so esse und wie viel Sport ich treibe und wie oft ich auf die Toilette gehe. Ich muss nur diese roten und weißen Pillen für den Blutdruck und orangefarbene Schmerztabletten ausprobieren und fürnehm duftendes Shampoo gegen meinen Haarausfall.«
»Du hast doch
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