kommen groß raus
in der Zwischenzeit zum Gemeinschaftsraum. Sie hoffte inständig, dass niemand dort sei. Sie wollte mit ihren Gedanken dringend allein sein. Heute Morgen war es ihr gelungen, ihre Sorgen einfach beiseite zu schieben. Sie war so glücklich gewesen, wieder einmal auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen! Und sie hatte, wie sie sich eingestehen musste, Carlottas Gesellschaft genossen. Für eine Weile hatte ihre Pferdeliebe ein Band zwischen ihnen beiden geknüpft. Aber es war ein sehr feines Band gewesen, das jetzt zerrissen war. Vorsichtig spähte Maja um die Ecke und verzog das Gesicht, als sie Elli und Claudine im Aufenthaltsraum sitzen sah. Die beiden hielten nichts von frischer Luft und rekelten sich stattdessen gemütlich in den Armstühlen am Kamin. Ohne dass die beiden Mädchen, die angeregt miteinander schwatzten, sie bemerkt hätten, schlich Maja wieder davon. Aber plötzlich sagte Claudine mit ihrer klaren Stimme etwas, das Maja innehalten ließ. Ihr war zwar klar, dass man nicht lauschen durfte, aber sie blieb dennoch wie angewurzelt stehen und hörte zu. Und was sie aufschnappte, ließ sie ihre Haltung gegenüber Lindenhof gründlich ändern.
Nach dem freundschaftlichen und temperamentvollen Handballspiel fühlte Carlotta sich hungrig und angenehm müde. Zum Glück war ja Samstag, und es gab keine Hausaufgaben. Wenn ihre Zimmerkollegin nicht gewesen wäre, hätte sie sich jetzt auf das Abendessen gefreut und darauf, einen gemütlichen Abend mit Nichtstun zu verbringen. Sie konnte natürlich ebenso gut in den Speisesaal gehen und dort mit den anderen essen. Aber als Carlotta ins Studierzimmer ging, um ihre Schuhe zu wechseln, war sie angenehm überrascht. Der Tisch war mit einem sauberen Tischtuch für zwei Personen gedeckt, und darauf befanden sich eine Platte mit Broten, Knabbersachen und ein großer, saftiger
Schokoladenkuchen.
„Gut, dass du kommst.“ Maja, die gerade am Fenster gestanden hatte, deutete zögernd zum Tisch. „Setz dich und bedien dich. Ich dachte, nach einem Tag an der frischen Luft hast du bestimmt Hunger.“
Carlotta verstand die freundliche Geste. Sie lächelte zurück und sagte: „Stimmt, ich bin schon halb verhungert. Und das sieht alles ... tja, wirklich ziemlich verlockend aus. Du musst ja Ewigkeiten gebraucht haben, um das alles vorzubereiten.“
„Ach, Susanne aus der Ersten hat mir geholfen“, antwortete Maja und errötete leicht, während sie sich setzte. „Möchtest du Tee? Oder lieber Limonade?“
„Tee bitte.“ Carlotta beobachtete Maja aufmerksam. Irgendetwas schien sie vollkommen umgekrempelt zu haben. Fragte sich nur, was?
Die Mädchen ließen es sich schmecken, und ein paar Minuten lang herrschte Schweigen. Dann räusperte Maja sich. „Also, Carlotta, was ich vorhin gesagt habe, tut mir aufrichtig Leid. Mir war nicht klar, dass du ...“ Sie verstummte, und Carlotta fragte scharf: „Was war dir nicht klar?“
Maja seufzte. „Also, es war so: Nachdem ich hier wie eine Rakete rausgezischt bin, bin ich zum Aufenthaltsraum gegangen und habe gehört, wie sich dort zwei Mädchen unterhielten. Sie haben deinen Namen erwähnt, und ich habe gelauscht.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich weiß, dass es falsch von mir war, aber ich bin jetzt trotzdem froh, dass ich es getan habe, denn ich habe etwas daraus gelernt. Ich habe nämlich gehört, wie sie darüber sprachen, dass du aus einem Zirkus stammst und wie gerne du dort gelebt hast. Dann habe ich gehört, wie schwierig es für dich gewesen ist, dich an das völlig andere Leben hier zu gewöhnen. Aber du hast durchgehalten, weil du deinem Vater einen Gefallen tun wolltest und er stolz auf dich sein sollte.“
Carlotta nickte. Ihr verblüfftes Stirnrunzeln verschwand, als ihr dämmerte, warum Maja sich so schlagartig anders benahm. Sie war so daran gewöhnt, dass jeder in der Schule über ihre ungewöhnliche Vergangenheit Bescheid wusste, dass ihr gar nicht eingefallen war, dass sie für Maja etwas Besonderes sein konnte. Wenn sie ihr nur gleich von Anfang an alles erzählt hätte, dann wäre wohl manches einfacher gewesen!
„Kannst du mir nicht ein bisschen über dein Leben im Zirkus erzählen?“, bat Maja scheu. „Und darüber, wie du es geschafft hast, dich hier einzugewöhnen?“ Daraufhin begann Carlotta, stellenweise ein wenig sehnsüchtig, von ihrem Leben im Zirkus zu erzählen. Von den Menschen, unter denen sie gelebt hatte, und davon, wie ihr Vater erst lernen musste, sich um sie zu kümmern,
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