Konsumguerilla - Widerstand gegen Massenkultur
Programmieren allein aufgrund der
verfügbaren Zeitressourcen natürliche Grenzen gesetzt. 18 Demgegenüber lautet das Web 2.0-Versprechen: Jede/r kann zum Online-Autor und aktiven Mitglied einer Netzgemeinschaft werden,
und zwar nahezu unabhängig von eben jenen Kenntnissen, Ressourcen und Kapazitäten, die ehedem die Voraussetzung für eine solche
aktive Mediennutzung gewesen sind.
|104| Allerdings ist dieses Verspechen mittlerweile zum Imperativ mutiert – wenn man so will: zur digitalen Variation jenes »kreativen
Imperativs«, der schöpferische Produktivität, Individualität und Originalität zu existenziellen Leistungsmaximen stilisiert,
indes sich das singuläre Individuum zugleich vielfältig vernetzt zu präsentieren hat (vgl. Osten/Spillmann 2003; Bröckling
2007). Zu Recht fragen kritische Stimmen bereits danach, wer denn überhaupt noch Inhalte rezipieren soll, wenn alle mit dem
Produzieren beschäftigt sind, nach dem Wert von 10.000
MySpace-
Freundschaften sowie danach, welche Probleme die massenhafte Publikation persönlicher Daten auf Dauer wohl mit sich bringen
mag. Vor allem aber lohnt es sich, etwas genauer darauf zu schauen, wer hier hochproduktiv Inhalte generiert und wer eigentlich
von der Wertschöpfung profitiert. Denn dem doppeldeutigen
etsy-
Motto »Sell Yourself!« folgend ist jede/r ein
Indiepreneur
– wobei
Indie
sowohl für »independent« als auch für »individual« stehen kann. 19
Anders gesagt: Wie sich Kosten und Nutzen der Selbstbeteiligung jeweils zueinander verhalten, ist noch lange nicht ausgemacht
– und das gilt nicht nur allgemein für die DIY-Kultur 2.0, sondern speziell auch für jene Schnittstellen, die sie zu im analogen
Raum situierten Produktions- und Konsumptionsökonomien unterhält.
Prosumer Culture(s)
Fassen lässt sich diese Gemengelage am besten über die Assoziation mit einem Begriff, den der US-amerikanische Zukunftsforscher
Alvin Toffler 1980 ursprünglich für die Protagonisten seiner Utopie einer postkapitalistischen Gesellschaft prägte:
Prosumer
sind potenziell ProduzentInnen und KonsumentInnen zugleich, das heißt sie sind – zumindest teilweise – im Besitz von Produktionsmitteln
und Wissen um entsprechende Techniken zur Herstellung jener Dinge, die sie zu konsumieren begehren. 20
|105| Allerdings zeigt ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen hin zu einer solchen
Prosumer Culture
, dass solche Optionen zur Beteiligung problematische ökonomische und gesellschaftliche Machtverhältnisse keineswegs außer
Kraft setzen müssen. Gerade die großen Konzerne sind weit vorn, wenn es darum geht, die produktiven beziehungsweise kreativen
Potenziale ihrer Kunden abzuschöpfen. Dies gilt nicht nur für das so genannte Customizing, dessen einfachste Form eine partielle
Individualisierung von ansonsten in standardisierter Massenproduktion gefertigten Markenprodukten verspricht und bei dem sich
die Firmen von den ProsumentInnen deren kreative Eigenleistungen sowie die aktive Mitarbeit an Kundendatenerfassung und Marktforschung
noch mit einem Aufpreis bezahlen lassen. Dank des DIY-Hypes eröffnet sich eine denkbar breite Palette von Marketing-Optionen,
die vom offen ausgeschriebenen Wettbewerb bis zu Guerilla-Strategien im Gewand eigens erfundener
Grassroots-
oder Kulturinitiativen reichen. 21 Von Telekommunikationsunternehmen über Soft- und Hardware-Hersteller bis hin zu den Bekleidungs- und Genussmittel-Giganten
findet sich kaum ein Global Player, der in der jüngeren Zeit nicht eine Bühne mit einschlägigen Mitmach-Angeboten bereitgestellt
hätte.
Absatzmarkt- und markennah lassen sich entsprechende Strategien natürlich insbesondere in Bereichen wie der Unterhaltungselektronik
und der audiovisuellen Medienproduktion platzieren. Etwa, wenn Canon Amateurvideokultur lifestylenah als
Freerecording
propagiert und einen Foto-Printer unter dem Namen
SELPHY
(kurz für: »
Do-it-YourSELf PHotographY
«) lanciert; oder wenn Microsoft – ein Unternehmen, zu dessen Strategie eine als Service verkaufte systematische Entmündigung
der NutzerInnen gehört – für seine Software-Pakete mit einer einschlägigen Anzeigenkampagne wirbt, die den prospektiven jugendlichen
Kunden verspricht, mit dem Erwerb der entsprechenden Ausstattung zu kreativen Musik- und Video-ProduzentInnen werden zu können. 22 Hewlett Packard wiederum wartet seit 2003 mit
HYPE Galleries
auf, in denen man auf firmeneigenen Geräten |106| seine
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