Kopernikus 1
arbeitete der Weltrat Pläne aus, die bald durch die Ankunft der dritten Renaissance hi n weggefegt wurden. Jener aber, der das alles verursacht hatte, ahnte nichts davon, und im Augenblick lag ihm auch nichts ferner.
Langsam schritt Peyton die Marmorstufen vor jenem g e heimnisvollen Durchgang herab, dessen Geheimnis ihm noch immer verborgen war. Leo folgte ein wenig dahi n ter, schaute ihm über die Schulter und knurrte ab und zu.
Gemeinsam gingen sie auf der Metallstraße durch die Prachtallee der verkümmerten Bäume zurück. Peyton war froh, daß die Sonne noch nicht untergegangen war. In der Nacht würde diese Straße mit innerer Radioaktiv i tät glühen, und die Silhouetten der verwachsenen Bäume würden vor dem Hintergrund der Sterne nicht sehr ang e nehm aussehen.
An der Straßenkehre hielt er eine Weile inne und schaute zurück auf die gekrümmte Metallwand mit ihrer einzigen schwarzen Öffnung, deren Aussehen so trüg e risch war. Seine ganze Siegesstimmung schien zu ve r fliegen. Er wußte, daß er, solange er lebte, nie vergessen würde, was hinter diesen hochaufragenden Mauern lag – das dekadente Versprechen von Ruhe und völliger Z u friedenheit.
Tief in der Seele spürte er die Furcht, daß jede Befri e digung, jede Errungenschaft, die die Außenwelt für ihn bringen mochte, neben der mühelosen Seligkeit, die C o marre zu bieten hatte, eitel erscheinen würde. Einen A u genblick lang hatte er eine Alptraumvision von sich selbst, wie er, alt und gebrochen, die Straße entlang heimkehrte, um Vergessenheit zu finden. Er zuckte die Achseln und verdrängte den Gedanken.
Sobald er draußen in der Ebene war, hob sich seine Stimmung schlagartig. Er schlug wieder das unbezahlb a re Buch auf und blätterte in den Seiten mit dem mikr o skopisch kleinen Druck, berauscht von dem Versprechen, das in ihnen lag. Vor unzähligen Jahren waren langsame Karawanen diesen Weg gezogen; sie brachten Salomon dem Weisen Gold und Elfenbein. Alle ihre Schätze ve r blaßten jedoch zu einem Nichts im Vergleich zu diesem einen Buch, und all die Weisheit Salomons konnte sich die neue Zivilisation nicht ausmalen, deren Samen in di e sen Texten lag.
Schließlich fing Peyton zu singen an, etwas, das er sehr selten tat und worin er äußerst schlecht war. Das Lied war uralt, so alt, daß es aus der Zeit vor dem Ato m zeitalter stammte, vor den Jahren der interplanetaren Raumfahrt, ja selbst vor denen der Luftfahrt. Es handelte von einem gewissen Haarkünstler von Sevilla.
Leo ertrug es schweigend, so lange er konnte. Dann stimmte auch er mit ein. Ihr Duett war kein großer E r folg.
Beim Anbruch der Nacht waren der Wald und alle se i ne Geheimnisse unter dem Horizont verschwunden. Das Gesicht zu den Sternen emporgerichtet, mit Leo als Wächter an seiner Seite, schlief Peyton vorzüglich.
Dieses Mal träumte er nicht.
Jörg Liebenfels
Vitriol oder
Der Mann im Hundefleisch
„Sensationeller Moorleichenfund im Huldremoor! Wie schon gemeldet, machte ein Arbeitstrupp der Sozial i sierungsvollzugsanstalt Thyrsfeld eine unheimliche Entdeckung. Unweit eines Knüppelpfades, eingeschlo s sen in den klumpigen Block einer rötlichen kunststoffa r tigen Masse, wurde in den Morgenstunden ein Toter g e funden. Die hervorragend gut erhaltene Männerleiche, in einfachem Lederzeug, nimmt eine kauernde Sitzposition ein. Da das Gesicht auf den über den Knien verschrän k ten Unterarmen liegt, war eine Identifizierung bislang unmöglich. Zu weiteren fachkundlichen Untersuchungen wurde der Moormann vorerst in die Laborabteilung des Huldremoor-Museums verfrachtet. Wir schalten jetzt um zu unserem Reporter vor Ort … Thyrsfeld, bitte melden.“
Die Moderatorin explodierte im Elektronenfeuerwerk der Kennmelodie; Gag und Markenzeichen dieser regi o nalen Nachrichten-Show.
Die Holo-Projektion verwandelte die Stirnwand des Wohnzimmers in eine Saalecke des Huldremoor-Museums. Der Reporter stand mit Olaf vor einer der d e korativen Stellwände.
Gunda, Olafs Schwester, beugte sich in ihrem Stuhl unwillkürlich vor. Die Rückenlehne paßte sich autom a tisch ihrer veränderten Körperlage an. Auch Ulf, der ält e re ihrer beiden Brüder, wartete gespannt auf das folgende Interview. In ihrem Mini-Clan herrschte noch ein Gefühl der Familienzusammengehörigkeit, das die Menschen in den Superstädten längst verlernt und verloren hatten. Doch nach den Ereignissen der letzten Tage und Wochen klang ‚
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