Kopfloser Sommer - Roman
erlaubt es ihm. Es sieht ziemlich gefährlich aus. Ich bin schon fast im Garten, um dem Unfug ein Ende zu setzen, als Anders Jacob die Heckenschere aus den Händen nimmt. Also gehe ich in die Küche zu Mutter.
»Was habt ihr so lange im Badezimmer gemacht?«
»Was wir gemacht haben? Was meinst du, Emilie?«
»Das weißt du ganz genau, tu doch nicht so!«
Sie kann die Fassade nicht länger aufrechterhalten, sie kichert und wird rot, ich könnte kotzen.
»Du bist eine solche Schlampe, Mama!«, schreie ich und erschrecke regelrecht über mich, denn normalerweise rede ich wirklich nicht so mit ihr. Jedenfalls nicht, wenn sie nüchtern ist. Doch als ich mich entschuldigen will, stelle ich fest, dass sie gar nicht beleidigt ist. Sie lächelt mich liebevoll-nachsichtig an, und das ist beinahe noch schlimmer.
»Was meinst du, Schatz?«
»Erst willst du Anders rausschmeißen, und dann darf er plötzlich gern bleiben. Sag mal, hältst du mich für eine komplette Idiotin?«
»Er beendet noch, was er angefangen hat, oder? Als ihr im Garten gespielt habt, ist er zu weit gegangen, das weiß er selbst. Es wird nicht wieder vorkommen, er hat es mir versprochen.«
»Das meine ich nicht. Ich rede darüber, was ihr beiden im Badezimmer getrieben habt.«
Nun lächelt sie nicht mehr, sondern schlägt den Blick nieder und überlegt, was sie mir erzählen soll. Und ich warte, weil ich die Wahrheit ertragen kann, auch wenn mir die Tränen in den Augen stehen. Ich kenne die Wahrheit ja bereits, aber sie soll zugeben, dass sie einen Fehler gemacht hat, so kann man sich einfach nicht benehmen.
»Wenn du es wirklich wissen willst, Emilie: Wir haben ein richtig gutes Gespräch miteinander geführt. Anders befindet sich in einer Krise, und er braucht einen erwachsenen Menschen, der sich seiner ein wenig annimmt.«
Ich gebe es auf. Einen erwachsenen Menschen, und das soll sie sein? Ich gehe in mein Zimmer, werfe die Tür zu undlasse mich aufs Bett fallen. Ziehe mir die Decke über den Kopf. Sie ist doch nicht für fünf Cent erwachsen, aber dafür bin ich naiv und gutgläubig. Wie kann sie mir so etwas antun? Und Anders ist nicht besser, er ist wirklich ein Psychopath.
Es dauert nicht lange, bis es an die Scheibe klopft. Ich strecke den Kopf heraus und sehe Anders am Fenster. Ich drehe ihm den Rücken zu, mit ihm bin ich fertig. Aber er bleibt geduldig stehen; ich lasse ihn schmoren. Schließlich öffne ich das Fenster, um ihm die Meinung zu sagen.
»An dir habe ich jegliches Interesse verloren. Du hast mich verarscht. Lass mich bloß in Ruhe!«
»Deine Mutter kann sehr böse werden, Emilie. Und ich würde gern noch eine Weile bleiben.«
Er spricht in einem Tonfall, als ginge es um das Normalste der Welt, aber dadurch macht er es nur noch schlimmer.
»Und da hast du gedacht, du musst mit ihr vögeln?«
Ich will das Fenster schließen, doch er drückt es mit der Hand auf der Scheibe wieder auf.
»Ich bin nicht wegen deiner Mutter gern hier, und das weißt du auch. Sondern wegen dir.«
Das muss ich erst einmal sacken lassen. Habe ich eben richtig gehört? Er vögelt mit meiner Mutter ‒ aber nicht, weil er sie attraktiv findet, sondern weil er gern dort bleiben möchte, wo ich bin. Weil er mich anziehend findet. Es verschlägt mir den Atem, ich muss mich aufs Bett setzen, ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
»Wegen mir?« Er nickt und glaubt wohl, jetzt sei alles wieder gut, aber so leicht bekommt er mich nicht. So lasse ich mich nicht behandeln. Ich bin dermaßen wütend, dass meine Hände vom Fäuste ballen wehtun. Und plötzlich schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Möglicherweise ist dies die Wut, die ich eigentlich suche. Jetzt kommt sie heraus, ohne in Kummer umzuschlagen. Ich kann auf Anders wütend sein! Es istwunderbar, ich könnte ihm um den Hals fallen. Allerdings nehme ich mich zusammen, das hat er sicher nicht verdient. Schließlich hat er alles zerstört. Ich werde ihn nie wieder lieben können.
»Das ist doch total krank. Außerdem bist du nicht ehrlich zu meiner Mutter. Sie glaubt doch jetzt, du wärst verrückt nach ihr.«
»Du hast recht, Emilie, es war blöd von mir. Aber ich bin in Panik geraten. Ich fühle mich dabei genauso mies wie du.«
Er stößt das Kippfenster ganz auf und will ins Zimmer klettern. Ich drücke ihm beide Hände ins Gesicht und schubse ihn zurück.
»Das kannst du vergessen!«
»All right«, sagt er draußen im Staudenbeet. »Ich gehe jetzt ins Haus und sage deiner
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