Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
teilnehmen können. Das heißt: Sie wollen in ihren Beruf, ihre Familie zurückkehren, ihr persönliches und gesellschaftliches Umfeld wieder bestellen, ihren Alltag selbst bewältigen. Dieses individuelle Befinden ist Voraussetzung für die Teilhabe an einem Gemeinwesen, gerade einem demokratisch strukturierten und legitimierten. Es verlangt nach dem Mitwirken des Einzelnen. Jeder seiner Sinne mächtige Patient weiß auch, dass das Heilen oder Lindern einer Krankheit und die Reparatur einer Maschine etwas völlig anderes sind. Gesundungsprozesse umfassen weit mehr als das Austauschen bestimmter Ersatzteile. Vor- und Nachsorge spielen bei Operationen mindestens die gleich große Rolle wie der gelungene Eingriff.
Patienten suchen die im Gesundheitswesen Tätigen also nicht auf, um eine Dienstleistung abzurufen, um ein Bedürfnis zu befriedigen. Das ist jedenfalls die Ausnahme von der Regel. Sie wollen an Leib und Seele genesen. Wer ein kleines Kind beobachtet, das auf den harten Straßenasphalt stürzt und sich die Knie aufschürft, begreift rasch, dass selbst harmlose Verletzungen massiv in die Integrität eines Menschen eingreifen, sein ganzes Wesen erschüttern. Beruhigen kann den kleinen Erdenbürger nur eine Person seines Vertrauens. Ihr gelingt es, zumindest das Gefühl der Unverletzlichkeit zurückzuholen, die persönliche Souveränität, die Würde wiederherzustellen. Erst dann lässt sich auch die Wunde in beidseitigem Einvernehmen versorgen. Diese Unverletzlichkeit gehört nicht von ungefähr zu den unveräußerlichen Grundrechten. Aus Teilhabe an der Gesellschaft und verbrieftem Recht leitet sich ab, dass Krankenversorgung ein öffentliches Gut darstellt, das niemanden ausschließt.
Was heißt dies für das Verhältnis des Bürgerpatienten zum Arzt oder Therapeuten? Da wird kein Geschäft abgeschlossen, vertraglich Geld für Leistung vereinbart, Ware gegen Rechnung geliefert. Krankheit und Verletzungen stellen einen Angriff auf die Integrität dar, beeinträchtigen die Souveränität, erschüttern das Selbstvertrauen des Einzelnen. Um herauszufinden, was ihm da zusetzt, wendet sich der Laie – selbst kann er die Ursachen der eigenen Probleme selten ergründen – an einen, der gelernt hat, Krankheiten zu erkennen und sie zu behandeln: ein Mediziner, eine Medizinerin. Nun muss sich Vertrauen zu dem Arzt/der Ärztin entwickeln, sonst bleiben Zweifel an deren Kompetenz. Sind diese ausgeräumt, weiht der Erkrankte sein Gegenüber umfassend in ganz private Dinge ein. Besteht Vertrauen, kann der Arzt seinen Beruf professionell ausüben. Als Heilkundigem kann es ihm gelingen, zusammen mit allen Hilfsmitteln die Auslöser der Erkrankungen zu ergründen. Erst die richtige Diagnose ermöglicht es, einen Heilversuch zu unternehmen. Ob er gestartet wird, entscheidet der über Chancen und Risiken vollständig aufgeklärte Patient. Ist er nicht einwilligungsfähig, treten gesetzliche Vertreter an seine Stelle. Nur im Notfall handelt der Arzt allein und trägt dann die volle Verantwortung dafür.
Aus diesem Vertrauensverhältnis ergibt sich die Verpflichtung des Arztes, jeden Patienten nach bestem Wissen und Gewissen zu behandeln, ihm jedenfalls nicht zu schaden. Menschen sind Individuen. Sie reagieren deshalb auch sehr individuell auf Krankheitserreger, Schadstoffe, Umwelteinflüsse, Nahrungsmittel, Verletzungen, Schmerzen, Arzneimittel, berufliche oder psychische Belastungen. Bis auf wenige Erbkrankheiten erschließt sich aus ihren Genen allenfalls, dass sich Erkrankungen in ihrem Körper leichter ausbilden können, aber keineswegs müssen. Die ärztliche Profession beruht daher auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf praktischem Wissen, auf Erfahrungen im Umgang mit Patienten und ihren Erkrankungen. »Nach fünf bis sechs Jahren Studium, der ebenso langen folgenden Facharztausbildung braucht es noch Jahre der Praxis, bis man ein guter Arzt ist«, meinen selbstkritische Vertreter ihrer Zunft.
Ärzte sind also weder Dienstleister noch Reparateure. Sie restaurieren keine Mängel und Makel. Sie fertigen nicht arbeitsteilig Güter an oder befriedigen als Unternehmer Kundenwünsche, indem sie den Einsatz der notwendigen Mittel optimieren, um einen marktgängigen Preis anzubieten, der ihren Gewinn maximiert. Sie übernehmen aus freien Stücken Verantwortung für Menschen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Menschen wenden sich an sie und erwarten von ihnen Verständnis, Mitgefühl und Entscheidungen, die
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