Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
vergeblich versucht, mich zu erinnern.«
» Versuchen Sie es nicht zu sehr. Soweit ich weiß, haben Sie ein… traumatisches Erlebnis hinter sich.«
Lededje wollte etwas darauf erwidern, aber ihr fiel nichts ein. Ein traumatisches Erlebnis?, dachte sie mit plötzlicher Furcht. Was zum Teufel bedeutet das?
Sensia atmete tief durch. » Lassen Sie mich mit dem Hinweis beginnen, dass ich unter solchen Umständen noch nie jemanden nach seinem Namen fragen musste. Ich meine, jemand– Sie– erscheint ganz plötzlich hier, unangekündigt.« Sie schüttelte den Kopf. » So was passiert nicht. Bewusstseinszustände, Seelen, dynamisch-vollständige Hirninventare, wie auch immer man es nennen will: Es gibt immer zahlreiche Anmerkungen. Bei Ihnen fehlen sie.« Sensia lächelte wieder. Lededje gewann den unangenehmen Eindruck, dass ihr Gegenüber sehr bemüht war, beruhigend auf sie zu wirken. Das war in Lededjes Vergangenheit nie ein gutes Zeichen gewesen, und sie bezweifelte, dass sich daran jetzt etwas geändert hatte. » Sie sind einfach hier erschienen, meine Liebe«, fuhr Sensia fort. » Eine einzigartige Notfall-Verschränkung brachte Sie hierher, ein gewissermaßen vererbtes oder delegiertes Systemevent, ein Ereignis, das wir Gehirne › lächerlich unwahrscheinlich‹ nennen. Und was besonders seltsam ist: Sie kamen ohne begleitende Informationen, ohne Dokumente, ohne Auskunft gebende Unterlagen. Ohne Laufzettel, könnte man sagen.«
» Ist das ungewöhnlich?«
Sensia lachte. Sie hatte ein überraschend tiefes, fast raues Lachen. Lededje lächelte unwillkürlich, obwohl das Thema sehr ernst zu sein schien. » Nicht in dem Sinne ungewöhnlich, sondern ohne einen einzigen Präzedenzfall während der vergangen fünfzehnhundert Jahre. Offen gestanden, ich kann es kaum glauben, und ich habe viele, wirklich viele Avatare, Avatoide, Agenten, Fühler und schlichte Anfragen losgeschickt, die alle danach fragen, ob sonst jemand so etwas erlebt hat. Bisher hat mich keine positive Antwort erreicht.«
» Deshalb mussten Sie nach meinem Namen fragen.«
» In der Tat. Als Schiffsgehirn– als irgendeine Art von Gehirn oder auch KI – verbieten mir die Regeln, einen zu tiefen Blick in Sie zu werfen, aber ich musste trotzdem ein bisschen nachsehen, um ein angemessenes Körperprofil für Sie zu finden und Ihnen die Möglichkeit zu geben, hier im Virtuellen ohne ein weiteres Trauma zu erwachen.«
Was nicht ganz geklappt hat, dachte Lededje. Ich bin das Negativ der Farbe meines realen Selbst, und … wo sind meine verdammten Tätowierungen?
» Hinzu kommen die Sprachprotokolle«, sagte Sensia. » Sie sind eigentlich recht gut entwickelt und zeichnen sich durch eine hohe Lokalisierung in der Panmenschheit aus, müssten sich also genau erfassen lassen. Ich hätte etwas tiefer gehen und Ihren Namen und andere Details herausfinden können, aber das wäre auf recht unhöfliche Art invasiv gewesen. Nun, ich bin einigen alten Richtlinien gefolgt, so alt und obskur, dass ich sie regelrecht ausgraben musste. Sie waren für Situationen wie diese bestimmt, und auf ihrer Grundlage führte ich einen sogenannten › unverzüglichen posttraumatischen Notfall-Verschränkungstransfer mit Psychoprofilbewertung‹ durch.« Ein weiteres Lächeln. » Was auch immer bei Ihnen zu einem plötzlichen Verschränkungsevent führte, an dem Ort, woher Sie kommen, es blieb ohne störenden Einfluss auf Ihren Wechsel in die Virtualität.« Sensia hob ihr Glas wieder, betrachtete es kurz und stellte es erneut ab. » Bei meinen Untersuchungen ergab sich, dass Sie eine traumatische Erfahrung hinter sich haben«, sagte sie recht schnell, ohne Lededje anzusehen. » Die ich bisher zurückgehalten und von Ihren transferierten Erinnerungen getrennt habe, um Ihnen Gelegenheit zu geben, wieder einigermaßen zu sich zu finden. Sie verstehen schon.«
Lededje war nicht ganz sicher, ob sie verstand. » Zu so etwas sind Sie wirklich imstande?«
» Oh, im Grunde genommen ist es ganz einfach«, sagte Sensia und klang erleichtert. » Die Restriktionen sind allein moralischer Natur und basieren auf Regeln. Und natürlich liegt es allein bei Ihnen, wann Sie wieder auf dem Laufenden sein wollen, sozusagen. Allerdings, um ganz ehrlich zu sein: An Ihrer Stelle hätte ich es damit nicht zu eilig.«
Lededje versuchte noch einmal, sich daran zu erinnern, was vor ihrem Wechsel zu diesem Ort geschehen war. Sie glaubte, in Espersium gewesen und allein über einen von Bäumen gesäumten
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