Kriegerin der Nacht
wenn es ihr gelungen wäre, den Prinzen der Gestaltwandler gänzlich vom Gestaltwandeln abzuschrecken?
»Geh nur«, sagte sie zu Galen und schaute immer noch auf die kreisförmige Einfahrt vor der Schule hinab.
Als er fort war, sagte sie zu Nissa: »Folg ihm.«
Und so kam es, dass in den nächsten Minuten alle dort waren, wo sie waren.
Kelly und Iliana standen am Fenster und starrten in einen kühlen grauen Himmel. Winnie stand an der Tür zum Chemieraum und beobachtete den Flur. Galen war ein Stockwerk unter ihnen irgendwo in der Schule und Nissa folgte ihm in diskretem Abstand.
Und neben der kreisförmigen Einfahrt stand ein Mädchen mit vertrautem eichenblätterbraunem Haar und wartete offensichtlich darauf, dass jemand es mitnahm. Sie las ein Buch, das nicht wie ein Schulbuch aussah.
Jaimie.
Es geschah alles sehr schnell, aber es gab dennoch mehrere deutlich warnende Vorzeichen. Kelly nahm sie alle wahr.
Das Erste, was ihr auffiel, war ein blaugrüner Wagen, der vor der Highschool die Straße hinunterfuhr. Er fuhr langsam und Kelly kniff die Augen zusammen und versuchte, einen Blick auf den Fahrer zu erhaschen.
Es gelang ihr nicht. Der Wagen rollte weiter.
Ich sollte sie dazu bringen, vom Fenster wegzugehen, dachte Kelly. Was gar keine so offensichtliche Schlussfolgerung war, wie es den Anschein hatte. Denn Nachtleute benutzten üblicherweise keine Scharfschützen, um ihre Opfer zu töten.
Aber es war wahrscheinlich trotzdem eine gute Idee.
Kelly wollte gerade müde den Mund öffnen, um es auszusprechen, als etwas ihre Aufmerksamkeit erregte.
Der blaugrüne Wagen war wieder da. Er befand sich am Ausgang der Einfahrt, blieb stehen, aber in der falschen Richtung, als wolle er hereinfahren.
Während Kelly den Wagen noch beobachtete, jagte der Fahrer den Motor hoch.
In Kellys Nacken stellten sich die feinen Härchen auf.
Aber es ergab keinen Sinn. Warum um alles in der Welt sollten Nachtleute dort parken und die Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen?
Es mussten irgendwelche Jugendliche sein, die sich ein wenig aufspielten.
Iliana runzelte die Stirn. Sie hatte aufgehört, Muster in den Staub auf dem Fensterbrett zu zeichnen. »Wer ist das? Ich kenne diesen Wagen nicht.«
Alarmglocken.
Aber trotzdem ...
Der Motor heulte erneut auf und der Wagen setzte sich in Bewegung. Er fuhr in die falsche Richtung die Einfahrt entlang.
Und Jaimie, die direkt unter ihnen stand, blickte nicht auf.
Iliana begriff es im selben Moment wie Kelly.
»Jaimie!« Sie schrie und schlug mit ihrer kleinen Faust ans Fenster. Es nutzte natürlich nicht das Geringste.
Neben ihr stand Kelly erstarrt und wütend da.
Der Wagen beschleunigte und fuhr direkt auf Jaimie zu.
Sie konnten nichts tun. Gar nichts. Kelly würde niemals schnell genug dort unten sein. Es würde alles innerhalb einer Sekunde geschehen.
Aber es war schrecklich. Gleich würden mehrere Tonnen Stahl auf höchstens hundertzehn Pfund menschliches Fleisch treffen.
»Jaimie!« Iliana schrie erneut.
Unten blickte Jaimie endlich auf. Aber es war zu spät.
K APITEL Z EHN
Der Wagen kam näher. Iliana schrie und schrie. Ein Gefühl von absoluter Hilflosigkeit ...
Glas splitterte.
Zuerst verstand Kelly nicht, was vor sich ging. Sie dachte, dass Iliana versuchte, das Fenster einzuschlagen und Jaimies Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber die Scheibe bestand aus Sicherheitsglas, und was zerbrach, war der Becher in Ilianas Hand.
Blut spritzte, schockierend rot und flüssig.
Und Iliana drückte das zerbrochene Glas weiter in ihre Handfläche, sodass immer mehr und mehr Blut floss.
Ihr kleines Gesicht war erstarrt, ihre Lippen leicht geöffnet. Sie hielt den Atem an und ihre ganze Miene verriet absolute Konzentration.
Sie rief das blaue Feuer.
Kelly stockte der Atem.
Sie tut es! Ich werde eine Wilde Macht sehen. Genau hier, direkt an meiner Seite!
Sie riss den Blick von Iliana los und schaute wieder auf den Wagen hinunter. Sie würde sehen, wie diese Tonnen von Stahl zum Stehen kamen, genau wie der Schnellbahnzug in San Francisco. Oder vielleicht würde Iliana den Wagen nur vom Kurs abbringen und ihn in die grasbewachsene Insel in der Mitte der Einfahrt schicken.
In jedem Fall kann sie jetzt kaum noch leugnen, dass sie die Wilde Macht ist...
Das war der Moment, in dem Kelly begriff, dass der Wagen nicht anhalten würde.
Es funktionierte nicht.
Sie hörte, wie Iliana neben ihr einen verzweifelten Laut ausstieß. Es blieb keine Zeit mehr für
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