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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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schon am Morgen auf dieses abendliche Festessen und staunte dabei mal wieder über sich selbst: So wenig braucht der Mensch, um für kurze Zeit so etwas wie ein Glücksgefühl zu verspüren? Als eines Mittwochs die Bescherung ausblieb, war er so enttäuscht, dass es zu einer Geruchshalluzination kam: Er roch Pfefferminztee, obwohl nur Muckefuck zu ihm hoch stank.
    Nach dem Abendbrot: der dritte Marathonlauf.
    Bewegte Lenz sich nicht, saß er auf dem Hocker. Auf der Pritsche, auf der er jeden Morgen die Matratzen zusammenlegen und das Bettzeug obendrauf tun musste, durfte er weder liegen noch sitzen. Nicht mal die Beine durfte er drauflegen, wenn er auf dem Hocker saß. Auch durfte er sich beim Sitzen nicht anlehnen. Weil er es dennoch hin und wieder tat, bemerkte er bald, dass es unter dem Wachpersonal unterschiedlich strenge Dienstauffassungen gab. Es gab Schließer, die über sein Vergehen gegen die Verwahrraumordnung hinwegsahen – Faulheit oder Menschlichkeit, das war hier die Frage –, andere rissen sofort die Klappe auf und schissen ihn lautstark zusammen, wieder andere kamen mit wutverzerrtem Gesicht in die Zelle gestürmt und drohten ihm alle möglichen Strafen an.
    Wie die Zeit verging, konnte er nur am Stand der Sonne überprüfen, die ab dem frühen Vormittag über die Zellenwand kroch und ein zweites, sehr diffuses Gitter in den Raum zauberte. Schien keine Sonne, drang nur wenig Licht durch die Glasziegelsteine, dann musste er sich auf seine innere Uhr verlassen, die ihn anfangs oft narrte. Aber er hatte ja längst begriffen: Desorientierung, Isolation und Langeweile, das waren die drei Foltermethoden, mit denen sie ihre Gefangenen zum Sprechen bringen wollten. Dass Untersuchungshäftlinge wie Unschuldige zu behandeln waren, interessierte nicht. Die sozialistischen Gesetzeshüter nahmen ihre eigenen Gesetze nicht ernst, erwarteten aber von allen anderen, dass sie sie respektierten. Absurdes Theater auf höchstem Niveau.
    Das Klingelzeichen zur Nachtruhe empfand Lenz jedes Mal als Erlösung. Wieder ein Tag geschafft! Auch wenn er nicht wusste, wie viele Tage insgesamt er auf diese Weise hinter sich zu bringen hatte, die imaginäre Zahl X war um einen Tag geschrumpft. Kaum jedoch war das Licht ausgeschaltet, ging es wieder an – und so quälten sie ihn die ganze Nacht hindurch: An – aus! An – aus! An – aus! Alle vier, fünf Minuten wurde das Licht angeschaltet und durch den Spion in die Zelle gespäht, um nachzuschauen, ob sich der Untersuchungshäftling Lenz inzwischen auch nichts angetan hatte, oder um ihn noch ein bisschen zu zermürben. War dann sein Gesicht nicht zu sehen oder lagen die Hände nicht vorschriftsmäßig auf der Bettdecke, ging die Klappe, und er wurde angebellt, sich gefälligst an die Verwahrraumordnung zu halten. Er war aber ein Seiten- und kein Rückenschläfer, es fiel ihm schwer, auch im Schlaf an die Verwahrraumordnung zu denken, und so konnte er immer nur in Intervallen schlafen.
    Anderen Gefangenen ging es anscheinend nicht anders und so vertrieben sie sich durch unentwegtes Klopfen an den Wänden oder Heizungsrohren die Zeit. Eine Selbstbeschäftigungstherapie, die Lenz’ Schlafbereitschaft nicht gerade förderte. Er versuchte auch gar nicht mitzuverfolgen, was da für Knastgespräche geführt wurden, obwohl es sich um ein sehr einfaches, leicht zu entschlüsselndes Morsesystem handelte. Einmal klopfen stand für a, zweimal klopfen für b, dreimal klopfen für c und immer so weiter; Gespräche, die auch jeder Stasi-Mann mühelos mitverfolgen konnte. Dennoch ging es in den Abend- und Nachtstunden oft stundenlang: tak, taktak, taktaktaktaktak.
    Der Rhythmus der Klopfzeichen, die ihn aufforderten, sich ebenfalls zu melden, erinnerte Lenz an Filme über den Zweiten Weltkrieg. Immer dann, wenn wahrheitssuchende Deutsche, den Kopf unter der Bettdecke, Radio London eingestellt hatten, war es zu hören gewesen, dieses Bumbumbumbum. Er aber war ein schlechter Untersuchungsgefangener, spielte nicht mit, meldete sich nicht. Seine Nachbarn in den Zellen neben, unter und über ihm mussten die 102 für nicht belegt halten. Es interessierte ihn einfach nicht, wer da in den Nachbarzellen saß. Konnte ja auch ein Stasi-Mann darunter sein, der hoffte, auf diese Weise aus ihm herauszubekommen, was er während der Vernehmung nicht hatte sagen wollen. Und wenn nicht, wozu sollte er einem anderen Gefangenen irgendwelche Unschuldsbeteuerungen zumorsen?
    Der Besuch beim Haftrichter hatte

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