Krokodil im Nacken
Als Hannah und er sich Möbel kauften, hatten sie, um nicht zwei Jahre auf ihre Wunschstücke warten zu müssen, dem Verkäufer auch fünfzig Mark in die Hand drücken müssen. Prompt rückten sie auf der langen Warteliste nach oben und wurden schon nach einem Vierteljahr beliefert.
Der Ehrliche war der Dumme; wem nichts einfiel, der hatte das Nachsehen.
Eine etwas seriösere Nebenerwerbsquelle: Die Apotheken benötigten dringend braun getönte Lichtschutzgläser, in denen sie ihre selbst gefertigten Pülverchen aufbewahren konnten. Die Glasfabriken lieferten nicht, Röntgensalze aber wurden in solchen Gläsern angeliefert und wanderten, waren sie leer, auf den Müll der Röntgenstationen. Segler und Lenz rieten den Röntgenassistentinnen, Müll zu sparen und die Gläser aufzubewahren; sie würden sie schon entsorgen. Alle paar Wochen machten sie dann – es war eine Art sozialistischer Wettbewerb zwischen ihnen entbrannt – in den betreffenden Häusern die Runde, sammelten die Gläser ein und versteigerten sie meistbietend an die Apotheken.
Doch natürlich hatte Lenz nicht in diesem Depot angefangen, um bis in alle Ewigkeit Trinkgelder und Lichtschutzgläser abzufischen. Man hatte ihm bei der Einstellung angeboten, nach bestandenem Abitur ein vierjähriges kombiniertes Fern- und Direktstudium an einer Leipziger Fachschule aufzunehmen. Bei vollem Gehalt. Während dieses Studiums hatte er jeden Monat drei Tage in Leipzig zu sein, Prüfungen abzulegen und sich den Rest des Monats über auf die nächsten Prüfungen vorzubereiten. Nach zwei Jahren Volkshochschule nicht gerade eine Phase der Erholung, doch würde er nach beendetem Studium für höhere Aufgaben im Hause oder anderswo geeignet sein.
Lenz fuhr nach Leipzig, bestand die Aufnahmeprüfung und redete sich ein, endlich zu wissen, wohin die Reise ging; bald würde er einen richtigen Beruf haben und nebenbei so viel schreiben dürfen, wie er wollte oder konnte. Kaum aus Leipzig zurück lag die Benachrichtigung von der Musterungskommission der Nationalen Volksarmee im Briefkasten. Er habe sich an jenem Tag, um genau diese Uhrzeit dort und dort einzufinden, mitzubringen seien eine Turnhose und diese und jene Papiere. »Ein Wunder, dass sie nicht ›gewaschen und gekämmt‹ hinzugefügt haben«, spottete Hannah.
Lenz beschloss, fortan keinerlei Pläne mehr zu machen.
Ein Wartesaal mit vielen farbigen Fotos: Strahlende Gesichter unterm Stahlhelm, Junge Pioniere, die einem fröhlich grinsenden Panzerfahrer Blumen reichen, silbern glänzende Düsenjäger am blauen Himmel, drei Soldaten, wie sie lachend einer friedlichen, sozialistischen Zukunft entgegenmarschieren. Dazu Losungen. Direkt über Lenz’ Kopf in weißer Schrift auf rotem Grund: Der Schutz des sozialistischen Vaterlandes ist Hauptanliegen aller Werktätigen unserer DDR . An der Wand gegenüber: Der Friede muss wehrhaft sein . Links an der Wand: Werde auch du Soldat auf Zeit! Rechts, quer über den beiden Fenstern: Wir stehen fest an der Seite unserer sowjetischen Waffenbrüder .
Wie schlugen sie Lenz auf den Magen, all diese fröhlichen Fotos und staatlich verordneten Losungen! Was gedachten die, die diesen Raum auf so aufdringliche Weise geschmückt hatten, damit zu erreichen? War ja fast schon Sabotage, so abstoßend, wie dieser sozialistische Kitsch auf alle die wirken musste, die hier ihrer Verurteilung zu anderthalb Jahren Wehrdienst entgegensahen.
Offiziere, manche mit weißem Kittel über der Uniform, andere wohl keine Ärzte, sondern nur Verwaltungsangestellte, bewegten sich durch die Räume, Ärztinnen und Sanitäter flitzten vorüber. Lenz musste zum Hörtest und in ein Glas urinieren, sein Blutdruck wurde gemessen, Gewicht und Körperhöhe bestimmt, in ein Röhrchen musste er blasen, was die Lunge hergab. Nur mit der Turnhose bekleidet stand er danach vor zwei Weißkitteln – ob sie Ärzte waren, wusste er nicht – und einer jungen, streng wirkenden Ärztin. Sie begutachteten seine Schultern, seinen Rücken, Arme, Beine, Füße. Er erhielt den Befehl, sich auf eine Pritsche zu legen, und wurde abgehorcht. »Einatmen, ausatmen, husten Sie mal!« Der Bauch wurde abgetastet, die Leistengegend. Dann durfte er wieder aufstehen, musste Turn- und Unterhose runterlassen und die Vorhaut zurückziehen.
»Na, was denn? Sie werden sich doch wohl nicht genieren. Wir sind doch alles Männer.« Seine drei Untersuchungsrichter lachten, die Ärztin am lautesten.
Zwischen all diesen Tests zur
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