Krokodil im Nacken
Gelegenheit können Sie’s mir ja mal mitteilen.«
»Es war schlimm. Ihre Kinder haben sehr geweint, und besonders Ihre Tochter hat sich heftig gewehrt, als wir sie von Ihrer Frau trennen mussten.«
»Was ist ihnen denn gesagt worden? Dass wir verreisen müssen oder so etwas?«
»Das hätten sie nach alldem, was sie miterlebt haben, nicht geglaubt. Tut mir Leid, Ihnen keine bessere Auskunft geben zu können.« Der Leutnant wies auf die Zigaretten. »Wenn Sie wollen, rauchen Sie ruhig noch eine.«
»Danke!«
Er griff zu, seine Hände zitterten. Der Leutnant hatte es gesehen. »Von Ihrer Frau wissen wir auch, wen Sie alles über Ihre Fluchtabsichten informiert haben. Wollen wir das mal miteinander vergleichen? Damit wir sehen, ob Sie bereit sind, von nun an ehrlich auszusagen.«
Gut, dass er diesen billigen Trick aus der Kiste geholt hatte! Lenz zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Wenn Sie mir sagen, wer uns denunziert hat, denunziere ich vielleicht auch ein paar Leutchen.«
Er brauste nicht auf, der Klassensprecher, grinste nur. »Sie möchten wissen, wie wir Ihnen auf die Schliche kamen? Na ja, an Ihren Pässen lag es nicht, so viel kann ich Ihnen verraten. Die waren schon recht ordentlich gestaltet; glaube nicht, dass unseren bulgarischen Genossen etwas aufgefallen wäre … Ansonsten nur so viel: Wir arbeiten schnell, sicher und zuverlässig, Ihre Pläne waren uns von Anfang an bekannt.«
Das konnte eine dreiste Lüge sein, nach dem Motto: »Wir vom VEB Schild-und-Schwert-der-Partei sind unfehlbar.« Viel wahrscheinlicher aber war, dass der Leutnant nicht log. Es passte zu dieser Truppe von Menschenhirten, sie an der langen Leine bis nach Burgas reisen zu lassen und erst dann zuzuschlagen. Doch verdammt noch mal, wie hatten sie es herausbekommen?
Der Leutnant ahnte, was in Lenz vorging. »Zermartern Sie sich nicht den Kopf. Sie werden es nie herausfinden.«
»Und weshalb haben Sie uns nicht gleich verhaftet? Wozu diese lange Reise?«
»Wir mussten doch sehen, wie weit Ihre kriminelle Energie reicht, wollten niemanden belästigen, der vielleicht noch rechtzeitig zur Einsicht gekommen wäre.«
»Und wie viel …« Lenz musste schlucken. »Ich meine, mit welcher Strafe müssen wir rechnen?«
»Ich bin nicht der Richter.«
»Aber Sie haben Erfahrung.«
»Beweisen Sie uns, dass Sie bereit sind, an der Aufklärung dieses Anschlags auf unsere Republik mitzuarbeiten, dann wird man das vielleicht anerkennen.«
»Anschlag? Von was für einem ›Anschlag‹ reden Sie?«
»Jede Aktion gegen die Sicherheit unserer Republik ist ein Anschlag auf sie.«
»Aber wir haben doch niemandes Sicherheit beeinträchtigt.«
»Selbstverständlich haben Sie das getan. Wer gegen unsere Grenzen vorgeht, beeinträchtigt die Sicherheit unseres Staates. Das liegt doch auf der Hand.«
»Und die Staatsfeinde, zu denen meine Frau und ich Verbindung aufgenommen haben sollen? Wen meinen Sie damit?«
»Wer hat Ihnen denn die Pässe besorgt?«
Sollte er jetzt lachen? Franziska war die staatsfeindliche Verbindung? Die linke Fränze, die alles ablehnte, was mit Kapitalismus zu tun hatte? Die allerdings auch alles hasste, was mit staatlich verkündeten Heilslehren zu tun hatte … »Ach so! Und dann meinen Sie mit der uns vorgeworfenen Gruppenbildung wohl meine Frau, meine Kinder und mich?«
»Sie sind lernfähig.«
Welche Arroganz in diesem Gesicht! Der freute sich über dieses Wortgeplänkel, schämte sich nicht; der wusste nicht mal, dass er hier das Unrecht vertrat. »Aber was tun wir Ihnen denn an, wenn wir weggehen? Bricht ohne uns hier alles zusammen?«
»Sind Sie wirklich so naiv? Sie und Ihre Frau wären für den Gegner doch lustig sprudelnde Quellen gewesen. Sie wissen das noch nicht, aber wir überprüfen gerade, ob wir gegen Sie und Ihre Frau auch wegen Spionage ermitteln sollen.«
Das war zu dick. Hannah und Manfred Lenz – Agenten eines imperialistischen Geheimdienstes? »Sie wollen mich auf den Arm nehmen.«
»Nein, das will ich nicht. Für solche Späße haben wir gar keine Zeit.« Der Leutnant nahm das Strafgesetzbuch vom Schrank und schlug es auf. »Paragraph 97: ›Wer Nachrichten oder Gegenstände, die geheim zu halten sind, für eine fremde Macht, einen Geheimdienst oder sonstige ausländische Organisationen sammelt, wird mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren bestraft.‹ Dazu Ihre anderen Delikte … Sollten Sie also auch wegen Spionage belangt werden – zehn Jahre kommen da gut und
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