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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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schmieren«, flüsterte Dettmers, aber diesmal so leise, dass Petrograd es nicht mitbekam.
    Nackt ging es in die Effektenkammer. Die Cottbuser Anstaltskleidung, die sich in nichts von der Rummelsburger unterschied, wurde ihnen ausgehändigt, dazu Bettwäsche, zwei Decken, ein Handtuch, Besteck, Essnapf und Trinkbecher. Ihre Privateffekten, so erfuhren Lenz und Dettmers auf Nachfrage, würden von Hohenschönhausen aus direkt nach Cottbus geschickt; kein Umweg über Rummelsburg.
    »Entwürdigend das Ganze«, seufzte Dettmers, als sie wieder in der Zugangszelle angelangt waren.
    Einer der Profis hatte es gehört. »Würde? Ihr spinnt ja, ihr Politischen! Deine Würde, Mann, haste an der Eingangspforte abgegeben. Wenn de Pech hast, kriegste se nie wieder.«
    Dettmers: »Meine Würde liefer ich nirgends ab.«
    »Abwarten.« Der Häftling, ein Schiefgesicht mit schlechten Zähnen, grinste breit. »Bist ja erst fünf Minuten hier. In zwei Jahren, wenn dir vom vielen Sitzen der Arsch abgefault ist, sprechen wir uns wieder.«

3. Gesichter und Geschichten
    S ie lagen zu sechst auf der 218: Karrandasch, Peter Hausmann, Franz Moll, Jochen Wiegand, Roman Brandt und Manfred Lenz.
    Karrandasch, ein kleiner, dünnhaariger, rundlicher Sachse mit Puppenfüßen, war aus politischen Gründen – er hatte sich zu negativ über den sozialistischen Realismus geäußert – aus seinem Germanistikstudium geflogen. Weil er versucht hatte, sein Studium in München fortzusetzen, war er in Cottbus gelandet. Sein Lieblingsthema: Thomas Mann. Sagte Lenz, dass für ihn Heinrich der sympathischere der beiden Schriftstellerbrüder sei, ging er die Wand hoch. Eines Tages würde er auch schreiben, das wusste er, der kleine Martin Gumpert, der von Dettmers bereits in der Zugangszelle nach jenem berühmten russischen Clown »Karrandasch« – Bleistift – getauft worden war, weil er mit einem Bleistift in der Hand in einem Taschenbuch mit russischen Erzählungen las. Eine Sensation, dass er ein eigenes Buch in seinem Gepäck haben durfte; eine Sucht von ihm, in Büchern Unterstreichungen und Anmerkungen vorzunehmen.
    Dreimal am Tag ging Karrandasch an das hier in normaler Höhe und Größe angebrachte Fenstergitter, um zum Himmel aufzuschauen und zu beten. In der Zelle wurde gestritten, ob er wirklich so fromm war oder nur dokumentieren wollte, dass ein so tief gläubiger Christ wie er auf jeden Fall für den Sozialismus verloren war. Karrandasch war beides zuzutrauen. Fragte Lenz ihn, welche Vermutung denn zutraf, krauste er die kleine, runde Nase. »Was denkst ’n duu?«
    Wahrhaftig ein Clown, dieser Karrandasch! Kaum vorstellbar, dass er über einen ungarisch-österreichischen Grenzfluss schwimmen wollte; erstaunlich, wie überzeugt er von seinem Talent war; fast eine Drohung, wenn er davon sprach, eines Tages auch über seine Zellenkameraden schreiben zu wollen. Wunderte Lenz sich über dieses unerschütterliche Selbstvertrauen, wurde er aufgeklärt: »Das muss so sein. Alle großen Dichter haben sich auf dem Olymp gesehen. Wenn man nicht fest überzeugt davon ist, der Allergrößte zu sein, wird man es auch nicht.«
    »Hast du denn schon mal was geschrieben?«
    »In meinem Kopf schreibt es unentwegt.«
    All diese Antworten in einem angenehm milden sächsischen Dialekt. Lenz beschloss, Karrandasch nicht zu verraten, dass er ebenfalls schrieb. Zwei Dichter auf einer Zelle, wie hätte Karrandasch das verkraften sollen?
    Karrandaschs Strafmaß: zwei Jahre, zehn Monate. Sein Rechtsanwalt: Dr. Vogel.
    Dr. Peter Hausmann, noch keine dreißig, aber schon viel Grau in den dunkelblonden Locken und nur wenig größer als Karrandasch, hatte an der Berliner Charité gearbeitet. Als Chirurg. Wie Hajo Hahne hatte er über Prag in die Bundesrepublik ausreisen wollen, war allerdings nicht schon in Schönefeld, sondern erst bei der Ankunft in Prag verhaftet worden. Dort hätte er von einer WestBerliner Fluchthilfeorganisation einen westdeutschen Pass plus Flugticket nach Frankfurt am Main ausgehändigt bekommen sollen. Zusammen mit anderen von dieser Organisation betreuten Flüchtlingen, die in der gleichen Maschine gesessen hatten, von denen er aber nichts gewusst hatte, war er erst in ein Prager Gefängnis und danach in die DDR zurückexpediert worden.
    Hausmann war ein schweigsamer Zellengenosse, schloss keine Freundschaften, ging allen und jedem aus dem Weg. Beschäftigt wurde er als Sanitäter, alle Anordnungen der Strafvollzugsbeamten befolgte er aufs

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