Kunstblut (German Edition)
Atemzüge zu zählen, und darüber dämmerte ich wieder weg. Wieder war es der kalte, in fremde Essenzen getränkte Lappen, der mich weckte; und wieder stand ein Japaner mit einer Schüssel in der Hand neben mir. Dieses Mal war es Tokohiro.
»Wie spät ist es?«, fragte ich.
»Halb fünf morgens«, antwortete er. Er trug einen dunkelgrünen Burberry-Dreiteiler, der ihn ganz ausgezeichnet kleidete. Das sagte ich ihm auch.
Er verbeugte sich – tiefer, als ich erwartet hatte. »Ein Kompliment, das mich mit Stolz erfüllt, kommt es doch von einem für sein Stilbewusstsein gerühmten Mann«, sagte er.
»Ich fürchte, meine momentane Lage erlaubt mir nicht, meinem Ruf und meinem Gegenüber gebührend aufzutreten. Ich bitte, mir das nachzusehen, denn zurzeit bin ich ein Opfer der Umstände«, antwortete ich.
»Es ist an mir, um Nachsicht zu bitten, Kant San. Wir sind untröstlich über die Lage, in die wir Sie bringen mussten. Aber es war leider völlig unvermeidlich, solange nicht Klarheit über Ihren Zustand und Ihre Position herrscht. Wir rechneten mit einer unangemessenen Reaktion Ihrerseits.«
»Wenn Sie damit meinen, dass ich Ihnen Ihren Lappen in den Rachen und Sie in das Klo da stopfen würde, wenn ich nicht gefesselt wäre, dann haben Sie Recht«, sagte ich freundlich. »Nur würde ich das nicht unangemessen nennen.«
Er lächelte und verbeugte sich erneut. »So, wie ich Ihre Antwort verstehe, erscheint unsere Vorsicht nicht völlig unangebracht. Ich hoffe, Sie werden mir da zustimmen.«
»Es bleibt mir keine Wahl, als Ihnen zu Ihrer Weitsicht zu gratulieren, Tokohiro San.«
»Das freut mich. Ich kann nachvollziehen, dass Sie meine Mitarbeiter und mich für Ihre auf den ersten Blick missliche Lage verantwortlich halten, aber ich hoffe, Ihnen erklären zu können, dass die Situation nicht die ist, die sie zu sein scheint.«
Ich versuchte die Augenbrauen zu heben, aber die Bewegung erzeugte einen Blitz vor meinen Augen und ein fieses Stechen in meinem Hinterkopf. Ich stöhnte leise. Tokohiro schien ohnehin nicht mit einer Antwort zu rechnen, er redete weiter.
»Wenn Sie mir glaubhaft versicherten, von den eben von Ihnen beschriebenen Maßnahmen abzusehen, wäre ich bereit, Ihre Fesseln zu lösen.«
»Was wollen Sie? Mein Ehrenwort?«
Sein Lächeln verschwand.
»Ja«, sagte er. Als er meine Verblüffung bemerkte, setzte er hinzu: »Ein Wort unter Ehrenmännern sollte auch in Deutschland gelten.«
»Gut«, antwortete ich. »Sie haben mein Ehrenwort.«
Er nickte und begann, meine Fesseln zu lösen. »Nebenbei bemerkt und ohne großsprecherisch erscheinen zu wollen: Ich bezweifle sehr, dass Ihnen Ihr Vorhaben ohne weiteres gelungen wäre, Kant San. Selbst wenn ich keine Waffe bei mir hätte.« Lächelnd öffnete er die letzte Fessel.
Ich rieb meinen Nacken, er war feucht, aber es handelte sich nur um Wasser. Vorsichtig setzte ich mich auf und betastete die Beule an meinem Hinterkopf. Sie schmerzte entsetzlich.
»War es wirklich nötig, mich niederzuschlagen?«, fragte ich. »Ich wäre für ein offenes Wort bestimmt zu haben gewesen.«
»Sie haben gewiss Recht, aber ich kann das leider nicht abschließend beurteilen. Zudem ist es bedauerlicherweise nicht möglich, den für Ihre Verletzung Verantwortlichen dazu zu befragen.«
»Was soll das heißen? Woher wussten Sie überhaupt, dass ich in Friedel Hausmanns Wohnung wollte?«
»Wir wussten es eben nicht , Kant San, und gerade deshalb hatte Ihr überraschendes Auftauchen einige für alle unangenehme Auswirkungen.«
Ich strich mit den Fingerspitzen über meinen Hinterkopf. »Unangenehm, in der Tat«, sagte ich.
»Seien Sie versichert, Kant San, alle anderen Beteiligten haben größere Blessuren als Sie davongetragen.«
»Würden Sie mir das erklären?«
Sein Blick wurde so kalt, dass meine Hände unwillkürlich eine Verteidigungsposition einnahmen.
»Der Mann, der Sie niedergeschlagen hat, liegt im Kofferraum meines Wagens.«
»Was tut er da?«
»Nichts mehr. Ich habe ihn erschossen«, sagte er.
Mein Hinterkopf pochte heftig. »War das nicht etwas übertrieben?«, fragte ich.
»Er hat mir keine Wahl gelassen. Wir wussten, wo er war, aber wir wussten nicht, was er da wollte. Als Sie plötzlich vor dem Haus auftauchten, war klar, dass Sie dasselbe Ziel hatten wie er. Ehrlich gesagt hielten wir Sie zunächst für seinen Partner. Ich bin Ihnen gefolgt. Als ich vor der Wohnung stand, kam der Mann heraus. Er hat sofort die Waffe gehoben. Es gab keine
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