Kurz vor Mitternacht
höflich, «aber ich möchte gern etwas klarstellen. Sie, Mr Strange, erben die eine Hälfte des Vermögens Ihres Onkels… und wer erbt die andere Hälfte?»
Nevile blickte verwundert drein.
«Das sagte ich Ihnen doch schon. Meine Frau.»
«Ja. Aber…» Battle hüstelte leicht verlegen. «Welche Frau, Mr Strange?»
«Ah, ich verstehe. Ja, ich habe mich ungenau ausgedrückt. Das Geld geht an Audrey, die zur Zeit der Testamentsabfassung meine Frau war. Das stimmt doch, nicht wahr, Mr Trelawny?»
Der Anwalt nickte.
«Das Testament ist ganz klar abgefasst. Das Vermögen soll zwischen Sir Matthews Mündel, Nevile Strange, und dessen Frau, Audrey Elizabeth Strange, geborene Standish, geteilt werden. Die erfolgte Scheidung ändert nichts daran.»
«Das wäre also klar», bemerkte Battle. «Ich nehme an, dass Mrs Audrey Strange das weiß?»
«Gewiss», antwortete Trelawny.
«Und die gegenwärtige Mrs Strange?»
«Kay?»
Nevile machte ein etwas überraschtes Gesicht.
«Oh, ich denke, dass sie es ebenfalls weiß. Allerdings habe ich mit ihr nicht weiter darüber geredet…»
«Sie werden wohl feststellen, dass sie das Opfer eines Irrtums ist», sagte Battle. «Sie ist der Meinung, dass das Geld nach Lady Tressilians Tod an Sie und Ihre gegenwärtige Frau geht. Wenigstens gab sie mir das heute Vormittag zu verstehen. Deshalb wollte ich den genauen Sachverhalt erfahren.»
«Wie sonderbar!», rief Nevile. «Na, ich kann mir denken, wieso sie darauf gekommen ist. Sie sagte schon, wir würden ‹das Geld erben›, wenn meine Tante stirbt, aber ich nahm an, dass sie den Teil meinte, der mir zusteht.»
«Ja, es geschieht oft, dass zwei Menschen von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, wenn sie über eine Sache sprechen, ohne dass sie das Missverständnis entdecken.»
«Sicher», erwiderte Nevile, der an dem Thema nicht weiter interessiert zu sein schien. «In diesem Fall spielt das ja keine große Rolle. Wir sind auf das Geld nicht angewiesen. Für Audrey freut es mich. Sie hat es nicht leicht gehabt, und diese Erbschaft wird manches in ihrem Leben ändern.»
Battle fragte unverblümt: «Müssen Sie ihr denn keinen Unterhalt zahlen?»
Nevile errötete.
Mit gepresster Stimme versetzte er: «Es gibt so etwas wie… wie Stolz, Inspektor. Audrey hat sich geweigert, etwas von mir anzunehmen.»
«Es wurde ihr eine ziemlich beträchtliche Summe pro Monat vom Gericht zugesprochen», mischte sich Trelawny ein. «Aber sie hat die Überweisung stets zurückgehen lassen.»
«Sehr interessant», sagte Battle und ging hinaus, bevor ihn jemand um eine nähere Erklärung seiner Bemerkung bitten konnte.
Er gesellte sich zu seinem Neffen, zu dem er äußerte: «Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, haben fast alle ein Motiv gehabt. Nevile Strange und Audrey Strange erben je fünfzigtausend. Kay Strange ist der Meinung, dass sie fünfzigtausend bekommen wird. Mary Aldin hat nun ein Einkommen, das sie der Sorge um ihren Lebensunterhalt enthebt. Thomas Royde, das muss ich allerdings zugeben, gewinnt nichts. Aber wir können Hurstall und sogar Barrett einschließen. Und doch hat das Geldmotiv nichts mit diesem Fall zu tun, wenn ich mich nicht irre. Ich glaube eher an das Motiv reinen Hasses, falls es so etwas gibt. Und ich müsste mich sehr täuschen, wenn ich die Person, die sich so weit hat treibenlassen, nicht bald erwische!»
34
Andrew MacWhirter saß auf der Terrasse des Hotels Easterhead und blickte über den Fluss auf die Klippe Stark Head, die sich am gegenüberliegenden Ufer dräuend erhob.
Er versuchte, seine eigenen Gedanken und Gefühle zu ergründen. Er wusste nicht recht, was ihn eigentlich bewogen hatte, an diesem Ort seinen letzten freien Tag zu verbringen. Doch etwas hatte ihn hierhergezogen. Vielleicht der Wunsch, sich selbst zu prüfen… zu sehen, ob in seinem Herzen noch ein Rest der alten Verzweiflung wäre.
Mona? Wie wenig fragte er jetzt nach ihr. Sie hatte den andern geheiratet. Eines Tages hatte er sie auf der Straße getroffen und nicht die geringste Gemütsbewegung verspürt. Er erinnerte sich zwar recht gut an den Kummer und die Bitterkeit, die er empfunden, als sie ihn verließ, aber das alles war nun vorbei. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen durch einen nassen Hund und den erschrockenen Ruf seiner neuen Freundin – Miss Diana Brinton, ganze dreizehn Jahre alt.
«Pfui, Don, fort! Fort mit dir! Ist das nicht grässlich? Er hat sich am Strand auf einem Fisch gewälzt. Man riecht es
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