Lady Helenes skandaloeser Plan
verstehen, da der Tumult sich noch steigerte: Der Besitzer der Hühner hatte die Zerstörung der Kiste äußerst übel aufgenommen und schimpfte noch lauter, als er entdeckte, dass sein Federvieh es sich auf der Galerie des ersten Stocks gemütlich gemacht hatte. Tom schüttelte daher nur den Kopf und zog Lina schnellstens Richtung Küche.
Doch als sie die Küche betraten, trafen sie nicht Mrs Fishpole an, sondern ein Individuum mit scharfen Gesichtszügen, das eine schmutzige weiße Schürze umgebunden hatte. Der Mann sah äußerst übel gelaunt aus, als ob er bei der geringsten Provokation mit dem heißen Wasserkessel werfen würde.
»Feine Leute haben in der Küche nichts zu suchen«, knurrte er und rührte heftig in einem Topf mit trübem Wasser, in dem ein paar Gemüsestücke schwammen. »Gehen Sie nach vorn, da, wo Ihre Sorte hingehört.« Und ohne ihnen einen weiteren Blick zu gönnen, griff er sich ein Weinglas vom Tisch und goss sich einen ordentlichen Schluck hinter die Binde.
»Wir suchen Mrs Fishpole«, sagte Tom höflich, während er seinen Hut abnahm. »Können Sie uns vielleicht sagen, wann sie wieder arbeitet?«
»Niemals, und das wär auch noch viel zu früh«, knurrte der Mann und schenkte sich Wein nach. »Und jetzt raus mit Ihnen. Wir schulden ihr keinen Lohn, und wenn sie weg is, ohne bei Ihnen bezahlt zu haben, issas nich mein Bier!«
»Wir möchten nur wissen, wo sie wohnt«, erklärte Tom. »Sie ist uns gar nichts schuldig.«
Doch der Mann hatte sich wieder seinem Topf zugewandt, als sei eine Antwort nicht der Mühe wert. Ein Küchenjunge flitzte herein und rief: »Mr Sigglet, Mr Sigglet! Mr Harper ist da und will seine Fisch-und-Wurst-Pastete wie immer, was soll ich ihm bloß sagen?«
»Sag ihm, dass die Xanthippe heute Nachmittag weg is und mir keinen einzichen Fisch dagelassen hat«, fauchte Mr Sigglet. »Soll er Gemüsesuppe essen oder von mir aus woandershin gehn. Ich hab erst morgen ’ne neue Köchin.«
Er fuhr herum und fuchtelte derart mit seinem Holzlöffel, dass fettige Tropfen flogen und auf Bart und Haar landeten. »Ihr könnt mich alle mal kreuzweise!«, schimpfte er. »Dieses Fischweib hat mich draufgesetzt, hat ihre Arbeit verlassen, ohne ’nen Ton zu sagen und is zu ihrer Familje. Wer hätte gedacht, dass das Weib ’ne Familje hat? Familje!« Aus seinen Worten ging klar hervor, dass zumindest er, Sigglet, kein sonderliches Vertrauen in diese Institution hegte.
Ohne ein weiteres Wort schob Tom Lina rückwärts aus der Küche, denn er war ein wenig besorgt, dass Sigglet vollends die Geduld verlieren und sie mit Gemüsesuppe bewerfen würde.
»Aber wohin kann sie denn nur gegangen sein?«, meinte Lina. »Ach Gott, das ist das Schlimmste, was passieren konnte!«
»Nein, ist es nicht«, gab Tom zurück, dem der sorgenvolle Ausdruck in ihren Augen verhasst war. »Es bedeutet doch nur, dass du recht hattest. Du hattest absolut recht, und ich war ein Holzkopf, dass ich nicht an andere Möglichkeiten gedacht habe.«
Lina schüttelte den Kopf. »Nein,
Sie
hatten recht. Ein Gasthof ist kein Ort für ein kleines Mädchen. Und was für eine Mutter ist Mrs Fishpole, dass sie ihren Posten ohne Weiteres aufgibt? Meggin braucht eine Familie, auf die sie sich verlassen kann.«
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Sei still, du.« Er grinste sie an. »Mrs Fishpole hat ihren Posten aufgegeben, weil sie sich auf die Suche nach Meggin begeben hat. Von mir weiß sie nur, dass ich der Vikar von St. Mary’s in Beverley bin. Ihre Familie lebt nur wenige Landkreise entfernt. Und das ist ihr Reiseziel, darauf würde ich meinen letzten Shilling verwetten!«
Sie war so schön, dass er sie sofort küssen musste. Und der Kuss schmeckte so köstlich, dass sie vermutlich die ganze Nacht weitergeküsst hätten, eingehüllt in ihre Mäntel an der Rückwand eines Gasthofes, wenn Lina nicht einen Einfall gehabt hätte.
»Sie ist doch erst heute Nachmittag gegangen, Tom«, sagte sie atemlos. »Vielleicht ist sie gar nicht abgereist. Vielleicht ist sie noch in London.«
Einen Moment lang begriff Tom gar nicht, was sie meinte, so sehr sehnte er sich danach, sie zu besitzen. »Willst du mich heiraten?«, fragte er reichlich töricht.
»Nein«, erwiderte sie. »Suchen wir Mrs Fishpole!«
»Erst, wenn du einwilligst, meine Frau zu werden.« Er zog sie wieder an sich.
»Ich könnte niemals einen Vikar heiraten!« Das Entsetzen in ihrer Stimme war echt.
»Könnten wir nicht so tun, als sei ich
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