Lady Marys romantisches Abenteuer
dabei, wie sie ihm wieder zulächelte. Das Sonnenlicht, das durch den geflochtenen Rand ihres Hutes schimmerte, zauberte Muster auf ihr Gesicht. Sie war wirklich das „Mädchen vom Lande“, wie sie behauptete, unbeeindruckt von ihrer Herkunft. Ein hübsches Wesen mit erstaunlich viel Rückgrat. Er mochte das; er mochte sie. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte gar nicht anders gekonnt, als ihr Lächeln zu erwidern.
Doch ganz gleich, wie hübsch sie auch lächelte und errötete, alles führte immer wieder zu dem Bild. Das musste es sein. Das Gemälde war der wirkliche Grund, warum er noch nicht nach England zurückgekehrt war. Und warum er sich so sehr bemüht hatte, das Vertrauen dieser kleinen Damengesellschaft zu erringen.
Beinahe war John geneigt zu glauben, dass dieses Bild eines Engels mit dem schwärzesten Fluch behaftet war, den je einer über einem Fetzen Leinwand oder einer Holztafel ausgesprochen hatte. Dass, außer dem Tod des armen Dumont, noch zahllose Morde während der letzten paar Jahrhunderte auf sein Konto gingen. Das Sicherste wäre wohl, das Ding ins Feuer zu werfen und es dem Vergessen zu übergeben.
Doch John glaubte nicht an Flüche. Er glaubte an Rätsel. Rätsel waren amüsant, vielleicht brachten sie Gewinn, und dieses hier war eine einzigartige Herausforderung. So schön das alte Gemälde auch sein mochte, Schönheit allein genügt nicht, um dafür zu töten. Es musste eine gemalte Chiffre oder sonst einen Schlüssel geben, den jemand nicht sah, der nichts von ihm ahnte oder wusste, wo er ihn suchen musste. John wünschte sich, Mary würde ihm das Bild noch einmal zeigen, statt es so sorgsam zu verstecken. Irgendwo in diesem Bild lag das Geheimnis, das diese Holztafel so unendlich wertvoll machte, wertvoll genug, dass Dumont dafür sterben musste. Wenn John vor zwei Tagen in der Kathedrale nicht so wachsam gewesen wäre, hätten er und Mary die Nächsten sein können.
Hier war ein Rätsel, das John lösen wollte. Er würde Lady Mary ihren gemalten Engel lassen, so wie er ihr ihre Unschuld lassen würde für irgendeinen dummen kleinen Peer, der einmal ihr Ehemann werden würde. Nie würde sie irgendein unerfreuliches Detail seiner Vergangenheit erfahren oder unangenehme Fragen stellen müssen, die er lieber nicht beantwortete. Alles, was John wollte, war die Belohnung für des Rätsels Lösung, wie auch immer diese aussehen mochte.
„Mylord!“ Mary lehnte sich aus dem Kutschenfenster, einen Apfel in der Hand. „Sind Sie hungrig?“
Bevor er noch mit ja oder nein antworten konnte, warf sie ihm den Apfel zu. Er fing ihn auf und biss mit solch geräuschvollem Genuss hinein, dass sie fröhlich auflachte.
„Sie sind wie Eva“, rief er ihr zu. „Verführen den armen Adam zur Sünde.“
Sie lachte wieder. „Von Ihnen wiederum fürchte ich keine Verführung, Mylord. Solange ich meinen Schutzengel habe, bin ich vor jeder Sünde sicher.“
Immer noch lachend, schlüpfte sie zurück ins Innere, doch sein Lächeln war verschwunden. Besser, er ließ sie im Glauben, ihr gemalter Engel sei ihr Beschützer.
Es war an ihm, dafür zu sorgen, dass er nie zu ihrem Todesengel werden würde.
Als nach dem Abendessen im Gasthof die letzten Teller abgeräumt worden waren, zog Mary den Brief aus ihrer Tasche und lächelte, während sie das dicke, cremeweiße Blatt entfaltete. Ihre Ankündigung würde eine Überraschung für John sein, und sie wollte diesen Augenblick genießen.
„Sie wissen, dass wir vorhaben, morgen die Gärten des Prince de Condé zu besuchen“, sagte sie. „Doch dank eines alten Bekannten meines Vaters sind wir sogar eingeladen, die Galerien im Innern des Palastes zu besichtigen.“
Sie reichte John die offizielle Einladung, die ihnen den Zutritt gewährte.
Diana beugte sich über Johns Schulter und las den Brief ohne viel Interesse. „Das muss man sich mal vorstellen! Da ist man so wichtig und königlich, dass man Leuten Eintrittsbriefe überreicht, bevor man gestattet, dass sie einen besuchen und dumm alles beglotzen. Das gleicht eher Theaterkarten. Ich wette, er wird uns für unsere Mühen noch nicht einmal Tee anbieten.“
„Es sind keine Mühen, Mylady“,mahnte Miss Woodstreng.„Es ist eine große Ehre durch einen sehr bedeutenden Adligen. Sie sollten dankbar sein, dass Seine Gnaden Ihr Vater seinen Einfluss nutzen konnte, um uns solch eine Einladung zu verschaffen. Hier in Frankreich kommt der Prince de Condé direkt nach König Ludwig. Man sagt, sein
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