Laienspiel
peinlich gewesen. Nachdem er weitere drei Ordner geöffnet hatte, außer ein paar kleinen Zeichnungen von Druckern aber nichts gefunden hatte, fragte er sich aufrichtig, was die Leute nur immer mit diesem Internet hatten. So interessant war das nun wirklich nicht.
»Sagen Sie mal, was machen jetzt Sie eigentlich in der Systemsteuerung?«, hörte er hinter sich die Piepsstimme des Mannes vom Eingang. Nachdem Kluftinger bezahlt hatte, stellte er ihm den Kaffee hin, nahm ihm die Maus aus der Hand und brummte: »So, hier ist der Internet Explorer. Dafür haben Sie gezahlt, und jetzt surfen Sie. Und lassen mein System in Frieden, sonst gibt es Ärger, ja?«
Auf seinem Bildschirm sah der Kommissar nun die Seite einer Suchmaschine, die sogar er kannte. Er wusste zuerst nicht recht, wonach er denn eigentlich suchen sollte, und gab schließlich einfach das erstbeste Wort ein, das ihm in den Sinn kam.
»Erika« stand nun dort, und Kluftinger drückte gespannt auf die Entertaste, die bei ihm seit eh und je »Retour« hieß. Sofort erschien ein neues Fenster mit der Meldung: »Ergebnisse 1 … 10 von ungefähr 32.500.000 für Erika. (0,03 Sekunden)«
»Oh, das ist ja doch … mal eine ganze Menge«, murmelte er in seinen Bart. Er klickte auf den ersten Eintrag und wurde auf eine Art Lexikon weitergeleitet, das den seltsamen Namen »Wikipedia« trug. Dort erfuhr er, dass Erika unter anderem ein weiblicher Vorname, eine Blume, ein im Jahre 1999 gesunkener Tanker, ein deutsches Marschlied sowie ein ehemaliges Polizeihaftlager der Nazis in den Niederlanden war. Das hatte er alles nicht gewusst … bis auf die Blume und den Vornamen natürlich. Und genau auf den klickte er, denn ihm war erst jetzt aufgefallen, dass er keine Ahnung hatte, was der Name der Frau, mit der er seit neunundzwanzig Jahren verheiratet war, eigentlich bedeutete. Als er es las, zog er die Brauen nach oben: Er kam aus dem Germanischen und hieß so viel wie »Die nach dem Gesetz und Recht Herrschende« oder »Die allein Mächtige«. »Nomen est omen«, brummte er. Dann fiel ihm noch etwas anderes ein, was ihm um einiges peinlicher war: Er hatte auch keine Ahnung, was seine eigenen Vornamen eigentlich bedeuteten. Also tippte er seinen Rufnamen ein, um zu seiner Enttäuschung zu erfahren, dass er keine wörtliche Entsprechung hatte. Seine Eltern hatten damals nach dem Krieg wirklich an allem gespart. Aber immerhin, er hatte ja noch einen. Er probierte es mit dem zweiten, und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Passt schon wieder«, murmelte er. Auf dem Bildschirm stand: »Der Feurige«.
Plötzlich fiel ihm siedend heiß ein, weswegen er ja eigentlich hier war. Die Informationen über ihre Namen hatten ihn so in Bann gezogen, dass er ganz vergessen hatte, auf seinen Vordermann zu achten. Erleichtert stellte er fest, dass der noch immer brav an seinem Platz saß und auf die Tastatur einhackte. Leider konnte der Kommissar nicht erkennen, was er schrieb. Er wandte sich wieder seinem eigenen Bildschirm zu. Was könnte er jetzt noch tun? Den Namen seines Sohnes brauchte er nicht einzugeben: Markus hieß »Dem Mars geweiht«, sein zweiter Vorname Alexander dagegen »Der Männer Abwehrende«. Das hatte er sich gemerkt, immerhin hatten er und seine Frau lange um diese beiden Namen gerungen. Während er sich von »Ottmar« hatte verabschieden müssen … eine Tatsache, die seinem Sohn noch immer Tränen des Dankes für die Durchsetzungsfähigkeit seiner Mutter entlockte –, hatte er ihr im Gegenzug den Verzicht auf »Bertram« abgenötigt. Ein Namensvorschlag, der auf nicht wesentlich mehr Gegenliebe bei seinem Sohn stieß und ihn schon einmal zu der Frage verleitet hatte, ob seine Eltern in den Siebzigern nicht vielleicht doch psychedelischen Drogen zugesprochen hatten.
Da ihm nichts weiter einfiel, gab er einen Begriff, der im Zusammenhang mit dem Fall immer wieder aufgetaucht war, in den Computer ein: Dschihad. Er wusste, dass es sich dabei um den »Heiligen Krieg« handelte. Ein Krieg, den der Islam gegen »die Ungläubigen« führte. Kluftinger fragte sich nur, wer die Ungläubigen waren, von denen in dem Artikel die Rede war: die Christen? Alle anderen? Immerhin glaubten sie ja auch an etwas, in vielen Dingen sogar an etwas Ähnliches, soweit er das sagen konnte. Gespannt las er weiter. Doch es ging beim Dschihad nicht nur um Gewalt. Im Gegenteil: Er schließe das Mittel der Gewalt zwar ein, beziehe sich aber auch viel allgemeiner auf den
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