Land der Mythen 02 - Die Flamme der Sylfen
Eingang so niedrig war, dass man in die Knie gehen musste, um einen Blick durch das Gitter zu werfen, blieb Klaigon stehen. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich an das schummrige Dunkel zu gewöhnen, das im Kerkerloch herrschte; dann jedoch konnte er die kahlen, feuchten Felswände ausmachen und die einsame, elend wirkende Gestalt, die darangekettet war.
»Wie geht es dir, Nichte?«
Karrols Tochter bot einen jämmerlichen Anblick. Das lange Haar hatte man ihr abgeschnitten und sie ihrer fürstlichen Kleider beraubt. Stattdessen war sie in ein Büßergewand aus Rupfen gesteckt worden, das, wie Klaigon fand, jedoch gut zu ihren blassen, ausgemergelten Zügen passte.
Sie schien geschlafen zu haben. An der Höhlenwand kauernd, die Handgelenke in eisernen Spangen, hatte sie die Augen geschlossen und blinzelte erst, als Klaigon sie ein zweites Mal ansprach. Endlich schlug sie die Augen auf. Einen Moment lang schien sie nicht zu wissen, wo sie sich befand, und Klaigon genoss es, das Entsetzen im Gesicht seiner Nichte zu sehen, als es ihr jäh wieder einfiel.
»Wenn der gute Barand dich jetzt sehen könnte«, sagte er grinsend. »Ein paar Tage Kerker, und schon wird aus einer Raubkatze ein frommes Lamm.«
»Was willst du, Onkel?«, fragte sie mit brüchiger Stimme. »Bist du gekommen, um dich an meinem Unglück zu weiden?«
»Sprich mir nicht von Unglück. Was geschehen ist, hast du ganz allein dir selbst zuzuschreiben.«
»Du gibst mir die Schuld?«, fragte sie leise. »Nachdem du meinen Vater ermordet hast? Obwohl du gemeinsame Sache mit dem finsteren Feind machst?«
»Schweig!«, zischte er. »Dummes Gör, was weißt du schon?«
»Genug, um zu erkennen, dass du mich all die Jahre getäuscht hast. Du bist ein Scheusal, Onkel. Leider habe ich dein wahres Gesicht zu spät erkannt.«
»Tröste dich, Nichte, du bist nicht die Einzige.« Klaigon lachte. »So mancher, der zusammen mit dir diesen ungastlichen Ort bewohnt, hat mich ebenfalls unterschätzt.«
»Unterschätzt? Du hältst dich selbst für klug und weise, Onkel? Du denkst, dass du deine Feinde überlistet hättest? In Wahrheit bist du es selbst, der betrogen wurde.«
»Schweig!«, gebot er ihr abermals.
Aber Rionna war nicht gewillt zu gehorchen. »Du irrst dich, wenn du glaubst, dass du am Ende als Sieger dastehen wirst. Die Mächte, mit denen du dich eingelassen hast, sind sehr viel gerissener als du. In ihren Händen bist du nichts weiter als ein Werkzeug, eine willenlose Puppe, die sie nach ihren Wünschen tanzen lassen.«
»Schweig endlich, oder…«
»Oder was?« Sie blickte ihn herausfordernd an. »Glaubst du denn, der Tod könnte mich noch schrecken, nach allem, was du mir angetan hast? Nach allem, was du mir genommen hast?«
»Täusche dich nicht, Mädchen«, knurrte Klaigon. »Es gibt Dinge, die dir widerfahren können, die noch ungleich schlimmer sind als der Tod. Glaube mir…«
Wie um seine Worte zu bestätigen, hallte erneut der Schrei einer gequälten Kreatur durch die unterirdischen Gänge, so laut und durchdringend, dass es Rionna durch Mark und Bein fuhr. Es folgten Laute, wie menschliche Kehlen sie unmöglich zustande bringen können, ein Kreischen und Grunzen voller Hohn und Spott.
»Onkel«, flüsterte sie schaudernd, »was war das?«
»Das«, erwiderte er grinsend, »sind die schrecklichen Dinge, von denen ich sprach.«
»Dann ist es also wahr, was Calma vermutet hat? Du hast Unholden Zutritt zur Stadt gewährt?«
»Sie kamen als Freunde«, wandte Klaigon ein.
»Erle als Freunde?« Rionna lachte bitter auf. »Du solltest dich selbst reden hören. Verraten hast du alles, wofür deine Vorgänger im Amt des Fürstregenten gebürgt und dem sie ihr Leben gewidmet haben. Aber damit wirst du nicht durchkommen. Die Ratsmitglieder werden dir niemals erlauben…«
»Da sei ganz unbesorgt, Nichte«, unterbrach er sie. »Vom Fürstenrat ist kein Widerspruch mehr zu erwarten.«
»Wa-warum nicht?«, fragte sie erstaunt.
»Sehr einfach – weil ein guter Teil der Ratsmitglieder an diesem für Iónador so ruhmreichen Tag sein Leben im Kampf gegen die Waldbarbaren gelassen haben dürfte. Und was den Rest dieser großmäuligen Idioten betrifft…« Er verstummte mit einem breiten Grinsen.
»Was ist mit ihnen?«, wollte Rionna wissen.
»Muss ich das wirklich erklären?« Klaigon schüttelte den Kopf. »Ich habe es dir bereits gesagt: Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich, und mit dem wird entsprechend verfahren.«
»Du… du
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