Laufend loslassen
Hunde, die müde im Schatten einer Mauer dösen und die Pilger kaum eines Blickes würdigen.
Wenn es für mich zwei große Ängste vor Beginn des Jakobsweges gab, dann bezog sich die eine auf die zahllosen frei herumlaufenden Hunde, die in meiner Vorstellung überall dem armen Pilger auflauerten und sich auf ihn zu stürzen versuchten. Nichts davon ist Realität geworden. Wenn es wirklich einmal eine Situation gab, in der ein Hund zu nahe kam, dann hat ein kräftiges Aufstoßen des Wanderstabs meist genügt, um ihn zu vertreiben.
Spätestens, wenn der Stab in Richtung des Hundes gehalten und ein Zischlaut ausgestoßen wurde, zog der Hund den Schwanz ein und war verschwunden.
Die zweite Angst war die vor unerträglichen Zuständen in den Herbergen. Ich, der ich sonst in Tagungshäusern auch als Teilnehmer großen Wert auf mein Einzelzimmer lege, sollte mit großen Schlafsälen zurechtkommen? Davon abgesehen, dass echte Massenschlafsäle eher die Ausnahme sind, komme ich überraschend gut zurecht. Was es an Störungen und schlechter Luft ab und zu gibt, wird zehnmal aufgewogen durch die wertvollen menschlichen Begegnungen und tiefen Gespräche, die sich überall entwickeln können. Eines weiß ich jetzt sicher: Auch wenn ich noch alleine pilgern würde, ich ziehe diese Begegnungs-Wirklichkeit jedem Hostal-Einzelzimmer vor.
Die Pilgerherberge ist Teil der alten Kirche. Im anderen Teil ist eine kleine Kapelle eingerichtet. Im Ort gibt es nur zwei ständige Bewohner, viele Häuser sind verfallen, aber es zieht auch neues Leben in den Ort ein. Am Nachmittag sitzen wir eine Zeit lang im Aufenthaltsraum der Albergue. „Es ist merkwürdig auf dem Weg.“, sagt Verena plötzlich, „nirgends sind wir lange und überall fühle ich mich gut aufgehoben. Der ganze Weg ist, als wäre man daheim.“
Der Hospitalero, der uns nach dem gemeinsamen Abendessen mit Chorrizo-Kartoffel-Eintopf das Dorf zeigt, weist auf einen Neubau hin, den deutsche Institutionen der Jugendhilfe als Ort der Stärkung für Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen bauen. Sie sollen dort alleine oder in kleinen Gruppen leben können und in ihrer Sinnsuche und Lebensorientierung durch geeignete Begleitpersonen Unterstützung finden. Dabei wird auch die Pilgerfahrt nach Santiago eine zentrale Rolle einnehmen.
Eigentlich hatte ich von Foncebadón aus vorgehabt, die legendäre Aussteiger-Kommune Matavenero zu besuchen, die hier in der Nähe in den Bergen liegt. Bei einer meiner „Sams.“-Führungen in Bamberg war ich wenige Wochen vor dem Start nach Taizé mit einem Teilnehmer aus Forchheim ins Gespräch über meine Jakobsweg-Pläne gekommen. Er hatte mir erzählt, dass sein Bruder in diesem einsamen Bergdorf lebt und hatte mir eine Visitenkarte mitgegeben.
Als ich in der Bar erfahre, dass der Weg hin und zurück wohl einen Wandertag in Anspruch nehmen würde, gebe ich das Vorhaben mit einem leisen Bedauern auf. Ich möchte den Anschluss an meine beiden Caminofreunde nicht verlieren.
Der Tag endet mit einer Abendandacht in der kleinen Kapelle.
„Laudato si, o mi signore. Laudato si, o mi signore..“, dieses Lied nach einem Gebet des heiligen Franziskus von Assisi - der den Jakobsweg auch gegangen ist - wird gesungen.
Die Gebetszeit endet mit einem Küsschen aller für alle.
Samstag, 11. August
Kurz vor sieben brechen wir auf, den einen Kilometer hinauf zum Cruz de Ferro. Ich habe meinen Stein ausgepackt, der mich seit Monistrol d’Allier begleitet. Ich werde ihn, wie es Brauch ist, am Cruz de Ferro ablegen. Als ich noch einmal in mir aufsteigen lasse, was dieser Stein symbolisiert, die harten Jahre nach der Trennung und die schwierigen Jahre davor, kommen mir die Tränen. Jeder weint einmal auf dem Camino, heißt es. Jetzt ist es für mich so weit. Ich habe den Stein vor fast zwei Monaten in Monistrol d’Allier aufgehoben, ohne ihn genauer zu betrachten. Es war der Moment, wo ich nicht wusste, ob ich überhaupt noch weiterlaufen kann. Jetzt fällt mir auf, dass es eigentlich ein Teil eines größeren Steins ist, mit einer glatten Bruchfläche. So, wie meine Ehe zerbrochen ist und ich mich noch jahrelang an die Hälfte in meiner Hand geklammert habe, so umklammere ich jetzt den Stein. Den Stein mit der Form eines verletzten Herzens, den ich aus Bamberg mitgenommen hatte, habe ich schon in Frankreich verloren, und auch das ist für mich zeichenhaft.
Im Moment, in dem die Sonne am Cruz de Ferro aufgeht, werfe ich meinen Stein in
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